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Referat Egalität und Differenz oder zum Problem weiblicher Sozialisation

psychologie referate

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SE: Egalität und Differenz oder zum Problem weiblicher Sozialisation:




































1. Inhaltsverzeichnis

1. Inhaltsverzeichnis                                                                                            

2. Einleitung                     

3. Eßstörungen allgemein 

3.1. Geschichtliche Voraussetzung für Eßstörungen

3.1.1. Lebensmittel sind nicht mehr Lebens-Mittel

3.2. Häufigkeit von Eßstörungen

4. Menschliches Ernährungsverhalten                                                     

4.1. Entwicklung

4.2. Einflußfaktoren

5. Magersucht - Anorexia nervosa                                                       

5.1. Charakteristik

5.2. Warnsignale

5.3. Körperliche Probleme

6. Eltern und Eßstörung                                                                     

6.1. Allgemeines

6.2. Was können Eltern tun, um ihrem Kind nicht unbewußt

den Weg zu einer Eßstörung zu ebnen?

6.3. Die Schuldfalle

6.4. Mein Kind ist eßgestört - Phasen der Elternbefindlichkeit

7. Literaturverzeichnis                                                                        

2. Einleitung

Mein Interesse am Thema 'Eßstörungen' begründet sich durch die Beschäftigung mit Alternativen Ernährungslehren und frauenspezifischen Themen.

In dieser Seminararbeit bin in von einer geschlechtsspezifischen Verteilung psychischer Störungen ausgegangen, die aus den Lebensbedingungen von Frauen ableitbar ist. Die generelle Situation der Diskriminierung, die strukturelle Gewalt, sowie akute und persönliche Gewaltsituationen, Rollenkonflikte bestimmen den individuellen Lebenskontext mehr oder weniger. Die Individualisierung der Lebenslagen bewirkt eine Tendenz zu erhöhter Belastung und individueller Konfliktberarbeitung.

Die Eßstörungen sind ein Ausdruck des Obektstatus der Frauen in unserer Gesellschaft. Körperlichkeit, Gebährfähigkeit und Schönheit sind wesentliche Aspekte, die den gesellschaftlichen Statusgewinn von Frauen als Mütter und begehrte Objekte garantieren. Aus den Normen der weiblichen Geschlechterrolle ergeben sich emotionale Frustrationen, Selbstaufopferung, Ambivalenz; die psychischen Effekte stellen sich als erhöhte Angstlichkeit, niedriges Selbstwergefühl und Anfälligkeit für Depression dar. Da die Frauen ihren Minderheitenstatus internalisieren, übernehmen sie die zugeschriebenen Bilder und erbringen so selbstschädigende Anpassungsleistungen, wie Depression, Eßstörung, Angsstörung. Eßstörungen können so als Verweigerungsstrategien und als Strategien des Bemühens um Anpassung gesehen werden.

Aus der bearbeiteten Literatur habe ich allgemeingültige Voraussetzungen für Eßstörungen, wie im besonderen das Erscheinungsbild der Magersucht (Anorexia nervosa) und die dazugehörigen -Sichtweisen skizziert. Ausgegangen bin ich von der Fragestellungen:

Welche Gründe, Ursachen und Einflußfaktoren gibt es für Eßstörungen im allgemeinen und im            besonderen für die Anorexia nervosa?

Wie betrifft diese Störung die Eltern?

3. Eßstörungen allgemein



3.1. Geschichtliche Voraussetzung für Eßstörungen

Nach PUDEL prägte die schlechte Ernährungssituation der vergangenen Jahrhunderte nachhaltig das Ernährungsverhalten des Menschen. Die Möglichkeiten, die die Menschen für die Gestaltung ihrer täglichen Ernährung hatten, waren objektiv eng und gekennzeichnet durch Knappheit und Angebotsarmut. Wenn man sich die Küche des letzten Jahrhunderts und der Jahrhundertwende ansieht, kann festgestellt werden, daß die Ernährung heute in nahezu allen Aspekten (Vielfalt, Qualität etc.) von der Ernährung damals abweicht, obgleich die Grundmotivation - Nahrungsaufnahme und Spaß am Essen - ähnlich war. Der Weg vom Mangel zum Überfluß; die heutige Wahlfreiheit in einem nahezu unübersehbaren Lebensmittelangebot und die Befriedigung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse stellen die Grundlage für die seit den 50er Jahren häufiger auftretenden Eßstörungen dar. Deshalb sind sie hauptsächlich in der (westlichen) industialisierten Welt anzutreffen; in den sogenannten Entwicklungsländern sind Fälle von Eßstörungen sehr selten und kommen - wenn überhaupt - nur in den oberen, an westlichen Werten und Normen ausgerichteten sozialen Schichten vor.

ORBACH verweist in ihrem 'Antidiätbuch' auf die Ansicht von Mara Selvini Palazzoli, die 'die Ansicht vertritt, daß der Übergang von der Agrargesellschaft zur Indurstriegesellschaft sich sehr stark auf die Stabilität der patriarchalischen Familie ausgewirkt hat, und daß die Magersüchtige eine Herausforderung an den hier fortbestehenden Konservativismus darstellt' (ORBACH 1991, S.141). Weiters beschreibt sie die Eßsucht und Magersucht als eine Anpassung an eine Frauenrolle, die erhebliche Einschränkungen mit sich bringt. Eßstörungen sind als Ausdruck einer Rebellion gegen diese Einschränkungen zu sehen.

3.1.1. Lebensmittel sind nicht mehr Lebens-Mittel

Den menschlichen Eßbedürfnissen von früher und heute ist gemein, daß sie ernährungsphysiologische Kriterien kaum berücksichtigen. Eine Entwicklung von psychologischen Bedürfnisstrukturen ohne 'ernährungsphysiologische Rücksichtnahme' wird heute durch folgende Zusatzbedingungen des Lebensmittelangebotes im Überfluß gefördert:

In den heutigen Industrieländern fehlt die existentielle Erfahrung der Nahrungsmitteleinschränkung und -knappheit und das Wissen, wie unmittelbar Nahrunsaufnahme und Leben zusammenhängen.


Heute wird der Erwerb von Lebensmitteln nicht mehr anders erlebt als der Einkauf anderer Konsumartikel auch.


Der ursprüngliche Bezug zum Lebensmttel ist weitgehend verlorengegangen.Durch Fertignahrung wird der Ursprung des Lebensmittels, wie z.B.: verpackte Milch Kuh dem Konsumenten entfremdet.

Das Erlebnis von gemeinsamen Mahlzeiten in der Familie oder bestimmten 'Privaten' Rezepturen schwindet durch Zunahme des Außerhausverzehrs und erhöhter Mobilität und die damit verbundene Auflösung der häuslichen Tischgemeinschaft. Durch 'genormte' Speisen (wie z.B. Hamburger) und Schnellbuffets ist die intime Funktion der familiär geprägten Speise zu Erfüllung psychischer Bedürfnisse nicht mehr gegeben.

Diese vier Positionen sprechen für eine Neutralisierung und psychische Entfremdung sowohl für das Lebensmittel als auch für den Verhaltensbereich 'essen'.

3.2. Häufigkeit von Eßstörungen


Eßstörungen, wie Magersucht - Anorexia nervosa und Eß-Brechsucht - Bulimia nervosa stellen ein zunehmendes Gesundheitsproblem dar. Wissenschaftliche Studien ergeben eine Zunahme der Häufigkeit von Eßstörungen in den letzten 50 Jahren. Da die Häufigkeit von Eßstörungen in Österreich bisher noch nicht untersucht wurde, sind hier keine genauen Angaben verfügbar. Wenn allerdings angenommen wird, daß die in der westlichen Welt (v.a. in England und den USA) gefundene Häufigkeit auf Österreich übertragbar ist, ergibt sich auf der Basis der Bevölkerungszahlen von 1991 und der bekannten Risikoaltersbereiche für Eßstörungen folgende Grobschätzung der Häufigkeit von Eßstörungen in Österreich: Bezogen auf die österreichische Gesamtbevölkerung leiden an einem Stichtag von allen 15-20jährigen Mädchen ca 2400 Mädchen an Magersucht ( das sind ungefähr eine von 100 weiblichen Jugendlichen und jungen Frauen zwischen 15 und 25 Jahren), unter 20-30jährigen Frauen finden wir ca. 6500 Frauen mit Eß-Brechsucht. Jedes Jahr wäre beim weiblichen Geschlecht mit über 1000 Neuerkrankungen von Magersucht zu rechnen. Außerdem würden im Verlaufe des Risikoaltersbereiches von Eßstörungen (in etwa zwischen 10 und 35 Jahren) über 100000 Mädchen und Frauen unter einer klinisch relevanten Eßstörung leiden. Bereits 1984 wurde in den USA geschätzt, daß eine von 200-250 Frauen zwischen 13 und 22 Jahren an Magersucht leidet und daß zwischen 12 und 33 Prozent der Frauen an höheren Schulen ihr Gewicht durch Erbrechen, harntreibende Mittel oder Abführmittel zu kontrollieren versuchen.

Frauen sind zu 95 Prozent von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa (Eß-Brech-Sucht) betroffen. Sie gelten als die Frauenkrankheiten der Gegenwart. Das gesellschaftliche Schlankheitsideal, die Diskrepanz zwischen eigener Wahrnehmung und gesellschaftlicher Position und Rolle sind als wesentliche krankheitsverursachende Faktoren zu nennen. Das weit verbreitete Diätverhalten (nicht aus medizinischen, sondern aus Figur-Gründen) scheint der gesellschaftliche Nährboden für die Entwicklung von Eßstörungen zu sein. Insofern sind der gesellschaftliche Schlankheitwahn und das daraus folgende - fast schon kollektive - Diätverhalten ein wesentlicher Beitrag zu Eßstörungen.

4. Menschliches Ernährungsverhalten

4.1. Entwicklung

Von der Verhaltenswissenschaft ausgehend, wird die ursprüngliche Motivation zur Nahrungsaufnahme beim Neugeborenen durch das intensive Hungergefühl und der Sättigung reguliert. So ist die grundsätzliche Kompetenz zur biologisch günstigen bedarfsgerechten Steuerung der Nahrungsaufnahme angeboren. Neugeborene und Säuglinge können ihre Energieaufnahme nach angebotener Nahrung regulieren. Von verdünnter Milchnahrung nehmen sie weniger und von kalorisch angereicherter mehr zu sich.

Nicht angeboren ist natürlich die Ausdifferenzierung des Ernährungsverhaltens, die spätestens nach dem Abstillen einsetzt. Jetzt beginnt ein sozio-kultureller Lernprozess, der im Grunde dem Erlernen der Muttersprache sehr ähnlich ist.

In der frühen Mutter-Kind-Interaktion werden grundlegende emotionale Erfahrungen mit der Nahrungsaufnahme verfestigt. Darüber hinaus entwickelt sich im täglichen Training ein dann in die Gewohnheit übergehendes hochspezialisiertes Ernährungsverhalten, das im erwachsenenalter ganz selbstverständlich als das normale Ernährungsverhalten erlebt wird, ohne zu überlegen, daß die morgentliche Butter-Marmelade-Semmel und der dazugehörige Kaffee, usw. kulturell geprägte Elemente sind. Im sozialpsychologischen Sinne sind es 'Selbstverständlichkeiten', die als solche nur im Falle ihrer Mißachtung auffallen, wenn also jemand zum Frühstück eine Gulaschsuppe essen sollte.

Dieser soziokulturelle Lernprozeß schließt auch die Bildung von Geschmacksvorlieben ein, die sich ohne Einfluß von außen bei Neugeborenen ausschließlich für Geschmachsqualität 'süß' nachweisen lassen. Salzige, saure, bittere Geschmacksqualitäten werden von Kindern spontan abgelehnt. Sie formen sich erst unter sozialem Druck und dem Erlernen des Bedürfnisses nach sozialer Anerkennung.

Während Erwachsene abwechslungsreiche Kost bevorzugen, läßt sich bei Kindern beobachten, daß sie ihre 'Leibspeise' am liebsten jeden Tag verzehren würden.So setzt ein Training ein, damit das Kind lernt, auf Lieblingsspeisen zu verzichten. Auf diese Weise wird - lernpsychologisch betrachtet - der Wunsch nach dem Lieblingsessen dauerhaft 'konserviert'. Dies ist eine Erziehungsstrategie, die sich früher bei knapper Versorgungslage gut bewährt hat, damit ein Leibgericht auch lebenslag begehrt wurde. Das kulturell, aber auch familiär bedingte Verhaltenstraining hat unter gleichbleibenden Umweltbedingungen seine Berechtigung. Es wird jedoch problematisch, wenn sich drastische Veränderungen in der äußeren Ernährungssituation einstellen, weil das unter anderen Umständen erlernte Training zur Bewältigung der ursprünglichen Ernährungssituation jetzt ungünstige oder gar falsche Handlungsleitlienien setzt.So ist das Teller-leer-essen bei chronischer Nahrungsknappheit sinnvoll, aber nicht bei Nahrungsmittelüberfluß.

4.2. Einflußfaktoren

Drei Komponentenmodell des Eßverhaltens im Verlauf des Lebens: Innere Steuerung, Außenreizabhängigkeit, kognitive Kontrolle: Dieses Modell deutet daraufhin wie wichtig gerade in den ersten beiden Lebensjahrzehnten die Gestaltung des gesamten, 'Ernährungsumfeldes' ist, da hier Entwicklungsprozesse ablaufen, die das spätere Ernährungsverhalten weitgehend prägen. (DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ERNAHRUNG, S 205)

Die Menschen haben ein sinnvolles Repertoire an Ernährungsverhalten entwickelt, das klug und zweckmäßig an ihre Ernährungssituation angepaßt war.Das Ergebnis der Ernährungserziehung, deren Ziel also die Übernahme althergebrachter Verhaltensweisen ist, kann als Außenlenkung oder Außensteuerung des Eßverhaltens, auch als kulturelle Normierung bezeichnet werden.

Die biologische Regulation der Nahrungsaufnahme - also die Innensteuerung - steht zur kulturellen Normierung im Gegensatz und hat, je nach Strenge des Erziehungstrainings und des sozio-kulturellen Normendrucks, mit zunehmendem Lebensalter immer weniger regulierenden Einfluß, da Umfeld, Situation und soziale Faktoren immer stärker bestimmen, wann und was gegessen wird.

Ein dritter Einflußbereich ist die bewußte Kontrolle. Darunter sind alle vom Individuum bewußt vorgenommenen Maßnahmen zur Steuerung des Eßverhaltens zu sehen, beginnend bei der gezielten Auswahl erhährungsphysiologisch günstiger Lebensmittel über die Durchführung von Blitz-Diäten bis zur bewußten Entscheidung für Süßigkeiten oder Obst. Diese bewußte Komponente unterliegt ihrerseits äußeren Einflüssen, wie individuellem Kenntnisstand über Ernährung, gesellschaftlichen Normen, Einstellungen und allgemeiner Motivation. Diese Einflüsse wirken aber nicht direkt auf die Nahrungsaufnahme ein, sondern sie lassen Bedürfnisse entstehen, zu deren Erfüllung die Ernährung als wesentliches Werkzeug genutzt werden kann. Die bewußte Steuerung des Eßverhaltens kann in den Dienst von solchen Bedürfnissen gestellt werden, die im krasen Fall dem Energie- und Nährstoffbedarf des Organismus entgegenlaufen. Dies wird bei bestimmten Eßstörungen besonders deutlich.

Über bewußtes Verhalten ist am ehesten die Chance gegeben, auf das Ernährungsverhalten einzuwirken. Dies funktioniert aber nur, wenn menschliche Bedürfnisse verändert werden; zum Beispiel durch Strategien des sozialen Marketings, nicht aber durch rationale Argumente, die Informationen und Kenntnisse ohne emotionale Verankerung vermitteln wollen.

5. Magersucht - Anorexia nervosa

5.1. Charakteristik

Magersucht tritt meist bei Mädchen bzw. bei jungen Frauen auf. Die ersten Anzeichen der Krankheit können sich mit Beginn der Pubertät bemerkbar machen. Typische Kennzeichen sind die Angst, groß und erwachsen zu werden, und - damit verbunden - der Wunsch, über die Nahrungsaufnahme Kontrolle zu besitzen, um dünn zu sien. Magersucht ist eine psychische Störung, die durch starken Gewichtsverlust (oder das Ausbleiben der während der Wachstumsperiode zu erwartendenden Gewichtszunahme) charakterisiert ist. Magersüchtige haben eine eiserne Entschlossenheit, dünn zu werden und eine starke irrationale Furcht, dick zu werden, wobei beides nach einer Gewichtsabnahme oft noch anwächst.

Magersüchtige weigern sich energisch, ein gesundes Gewicht zu halten. Das Gewicht wird durch verschiedene Methoden verringert, z.B. durch starke Kalorieneinschränkung (Fasten), intensives körperliches Training, Appetitzügler, harntreibende Mittel, Abführmittel oder auch durch selbstherbeigeführtes Erbrechen. die meisten Menschen, die an Magersucht leiden, verleugnen beharrlich die Krankheit, teilweise weil sie sich sogar dann 'fett fühlen', wenn sie abgemagert sind. Überdies erlangen sie ein Gefühl der Kontrolle, indem sie die Nahrungszufuhr einschränken.

Nach PUDEL dient bei der Magersucht die Essensverweigerung und die so erzwungene Gewichtsabnahme einer Veweigerung des Erwachsenwerdens und der Übernahme der Frauenrolle. Die unklare, zwiespältige Rolle der 'modernen Frau' zwischen beruflicher Leistungserfüllung einerseits und emotionalem Verständnis andererseits verstärkt die Unsicherheit mancher Mädchen und fördert Symptome der Magersucht.Die eigene Familie und die dort vorgelebten Rollenbilder von Mutter und Vater üben einen nachhaltigen Einfluß aus. Die Krankheit ist mit ernsteren Störungen der Persönlichkeitsentwicklung verbunden, die sich allein schon ausbilden kann, wenn Selbstunsicherheit und starke Bewertung des äußeren Erscheinungsbildes mit den heutigen gesellschaftlichen Idealen zusammentreffen. Indem sie sich vom Essen abwenden, versuchen sie, mit den Streßsituationen des Lebens fertig zu werden. Deshalb ist die Bezeichnung 'Eßstörung' eigentlich irreführend: Nicht das Essen ist gestört, sondern die Nahrungsaufnahme wird als Mittel für (fremde) Zwecke eingesetzt, die mit der Nahrungsaufnahme eigentlich nichts (mehr) zu tun haben.

BRUCH geht von der gängigen Einstellung unserer Gesellschaft zum Körperumfang, wie der sklavischen Unterordnung an ein herrschendes Schönheitsideal aus und sieht die Ursache der Magersucht in der Ablehnung des eigenen Körpers und seiner Bedürfnisse. Der eigene Körper wird als fremd und feindlich erlebt, während die Seele oder der Wille als Gefangener desselben empfunden wird. In diesem Kampf repräsentiert der dünne Körper den Triumph über die niederen fleischlichen Bedürfnisse, der abgemagerte Körper wird zum Symbol von absoluter Reinheit und Transzendenz. Deshalb empfinden Magersüchtige den Sieg über den eigenen Hunger oft als einzige Möglichkeit, Stärke und Kontrolle wiederzugewinnen. Normalerweise beginnen die Symptome der Magersucht nicht mit einer bewußten Entscheidung, sondern mit einer zufällig angefangenen Diät, die oft von den Eltern angeregt wird. Nach erfolgreicher Abnahme und dem Gefühl des Erfolges bleiben viele dann dabei.

ORBACH beschreibt, daß sich Teenager in ihrer Pubertät besonders intensiv mit der äußeren Erscheinung beschäftigen und die Mädchen lernen, wie sie ihr eigentliches Ich am besten vor den Jungen verbergen können.Diese Veränderungen in ihrem Leben lösen Verwirrung und Chaos aus, wobei die Essensverweigerung als eine Lösungsstrategie eingesetzt wird, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch bei dem Versuch, stark zu sein, wird die Magersüchtige so schwach, daß sie ihre Selbständigkeit mehr und mehr verliert und immer abhängiger wird. Auf der einen Seite wird das Idealbild der aufopfernden, nährenden, zuverlässigen, liebevollen, fürsorglichen 'Supermutter' abgelehnt, und auf der anderen Seite folgendes Idealbild übertrieben: 'Zerbrechliche junge Damen werden bewundert und sind umschwärmt' (ORBACH 1991, S.140). Der Erfolg der Magersüchtigen besteht darin, daß sie umsorgt und verwöhnt wird und nicht in der Fürsorge und Aufopferung für andere.

MINUCHIN geht vom System einer 'anorektischen Familie' aus (wird im Kapitel 'Eltern und Eßstörung kurz erläutert). Im Gegensatz zum 'normal' heranwachsenden, der seine individuelle Persönlichkeit dadurch entwickelt, indem er die Eltern allmählich aus der erweiterten Perspektive heraus betrachtet, kann sich die Anorektikerin nicht losgelöst betrachten.

5.2. Warnsignale

Auffälliger Gewichtsverlust von 15 Prozent oder mehr ohne bekannte körperliche Ursachen, die für den Gewichtsverlust verantwortlich sein können;

Einschränkung der Nahrungsaufnahme, vor allem Kohlenhydraten und Fetten;

Verleugnung von Hunger und/oder eine 'verbissene' Entschlossenheit, immer dünner zu werden


Ausbleiben der Regelblutung bei Frauen, niedriger Sexualhormonspiegel bei Männern


extrem hoher Leistungsanspruch in Sport und Schule. ORBACH verweist darauf, daß in unserer Gesellschaft der Geburt eines männlichen Nachkommens viel mehr Stellenwert beigemessen wird. Auch wenn die Eltern keine direkte Außerung über die Enttäuschung - daß es ja 'nur' ein Mädchen geworden ist - machen, kann beim Mädchen ein Gefühl der Unerwünschtheit und des Versagens entstehen lassen. Durch die Befürchtung, die Eltern enttäuscht zu haben, hat das Mädchen das Gefühl nur ein Ersatz zu sein. Mit den Zweifeln an der eigenen Existenzberechtigung hängen die überdurchschnittlichen schulischen, sportlichen, akademischen Leistungen vieler Magersüchtigen zusammen.


Perfektionismus, der von einem tiefen Gefühl eigener Wertlosigkeit begleitet ist;

verzerrte Wahrnehmung von Gewicht, Körperumfang und/oder Körperformen;

Unfähigkeit, den Gewichtsverlust und das Ausmaß an körperlicher Tätigkeit zu kontrollieren;

sozialer Rückzug/Introvertiertheit;

ungewöhnliche Kälteempfindlichkeit;

selbstherbeigeführtes Erbrechen, Mißbrauch von Abfühmitteln und/oder harntreibende Mitteln

5.3. Körperliche Probleme

Ausbleiben der Regelblutung; Verlust sexueller Ineressen; chronische Nierenprobleme; Herzrhythmusstörungen; Reizung und Risse in der Speiseröhre; Vergrößerung der Speicheldrüse (bis unter die Kieferlinie); Ausbleiben der Regelblutung und im späteren Leben möglicherweise verminderte Fortpflanzungsmöglichkeit; Knochenschwund; Erosion des Zahnschmelzes und vermehrte Karies; Elektrolytstörungen (Veränderung der Blutsalze); Lanugobehaarung (feines Haar - 'Babyflaum' an Körperstellen); Muskelkrämpfe; Benommenheit, Schwindel oder Ohnmacht; ungewöhnliche Kälteempfindlichkeit; trockene Haut und Haarausfall; ungeklärte Schwellungen; chronische Verstopfung und andere Magen-Darm-Probleme.

6. Eltern und Eßstörung

Für MINUCHIN ist die Art, in welcher die Familie funktioniert, beeinflussend und bestimmend für die Entwicklung des Kindes. Die Weigerung der Anorektikerin, Nahrung zu sich zu nehmen, ist dadurch bestimmt, wie die Frage von Automie und Kontrolle zwischen der Patientin und ihren Eltern verhandelt wird. Bei der psychosomatischen Behandlung wird das Augenmerk auf die zwischen den Familienmitgliedern ablaufenden Transaktionen gerichtet, die das anorektische Syndrom am Leben halten, und arbeiten an der Veränderung dieser Transaktionen.

Das anorektische Kind wächst in einer Familie auf, in der Loyalität und Schutz den Vorrang vor Autonomie und Selbstverwirklichung haben. Das Kind wird so erzogen, daß es den Erwartungen der Familie entsprechend handelt und daß es ihm zu einem wichtigen Anliegen wird, die Familie in den Augen der Außenwelt nicht in Verlegenheit zu bringen. Es bleibt vom Urteil der Eltern abhängig und ist den von der Familie vertretenen Wertvorstellungen treu ergeben. Selbstverleugnung um des anderen willen werden hoch bewertet.

6.1. Allgemeines

Auf den ersten Blick leidet unter einer Eßstörung die/der Betroffene.

Auf den zweiten Blick erkennt man, wie sehr eine Eßstörung alle, die mit der/dem Betroffenen in engem (familiärem) Kontakt sind, in ihrem Bann zieht, zum Mitleben, Mitleiden, Mitagieren zwingt.

Auf den dritten Blick versteht man vielleicht, daß eine Eßstörung nicht 'plötzlich einfach da ist', sondern sich entwickelt.

Bei der Entstehung von Eßstörungen wirken gesellschaftliche, psychische, familiäre und körperliche Faktoren zusammen. Auch das Mit(er)leben von Situationen rund um das Essen kann die Entwicklung einer Eßstörung begünstigen.

Im Zuge des Gedankens von Prävention und Früherkennung rückt der dritte Aspekt besonders in den Vordergrund, - und so stellt sich die Frage:

6.2. Was können Eltern tun, um ihrem Kind nicht unbewußt den Weg zu einer Eßstörung zu ebnen?

Eltern haben eine Vorbildwirkung für ihre Kinder und sollten demnach überprüfen, inwieweit ihr eigenes Eßverhalten von der Waage, von gesellschaftlich diktierten Normen, von Bemerkungen der anderen gesteuert wird.

Das Kind soll so akzeptiert werden, wie es ist, d.h., daß es nicht nur dann Zuwendung erhält, wenn es bestimmte Anforderungen (nach Leistung, Anpassung, lieb sein) erfüllt hat, sondern ebenso zwischendurch und besonders nach Auseinandersetzungen.

Sprechen sollte nicht durch Essen ersetzt werden - weder bei sich selbst, zwischen sich und dem Kind, noch zwischen sich selbst und dem Partner. Beispiel: Die Eltern streiten und sprechen danach nicht mehr miteinander. Nächsten Tag kocht die Mutter ein extra gutes Mittagessen (als Zeichen ihres Versöhnungwillens) und der Vater ißt alles auf, sagt vielleicht ein lobendes Wort (als Zeichen seines Versöhnungswillens) und alles 'ist wieder gut'.

Essen sollte nicht als Erziehungsmittel eingesetzt werden, wie zum Trösten, Ablenken oder 'Ruhig stellen'. Belohnungen in Form von Geschichten vorlesen oder gemeinsame Aktivitäten zu starten sind ratsamer als immer Süßigkeiten zu kaufen.

6.3. Die Schuldfalle

Es gibt kaum Eltern, die sich nicht vorwerfen, einer von ihnen sei ursächlich an der Entstehung der Eßstörung der Tochter/des Sohnes schuld.

Die Mütter fühlen sich zuallererst verantwortlich für die Krankheit der Kinder. Zum einen, weil die Kindererziehung meist in ihrer Zuständigkeit lag und weil sie es sind, die beispielsweise bei Erziehungsberatungsstellen, Arzten und Psychologen Auskunft darüber geben wie normal die kindliche Entwicklung war. Zum anderen sind Schuldgefühle ein typisch weibliches Reaktionsmuster innerer Konfliktverarbeitung.

Schuldgefühle können Eltern in Erstarrung versetzen und verhindern, daß sie aktiv Verantwortung für die Veränderung der Situation übernehmen. Fast wie im Mythos gilt: wenn der oder die Schuldige erst definiert ist, löst sich das Problem von alleine. Allerdings - was in der Familie geschehen ist, ist geschehen und hatte auch seine Gründe; bestimmte Situationen und Geschehnisse haben Narben hinterlassen. Sich selbst in Frage zu stellen, kann an der Gesamtsituation nichts ändern. Schuldgefühle machen lediglich einsam, untergraben das eigene Selbstwergefühl und verhindern eine eindeutige, ehrliche mitühlende Beziehung zum Kind. Vielmehr sollten diese Schuldgefühle produktiv genützt werden, um einen Lösungsweg zu finden.

In der christlichen Ethik erfordert Schuld Sühne. Habe ich mich bei jemandem schuldig gemacht, hat dieser Macht über mich. Negativ betrachtet werden auf diese Weise Schuldgefühle zu einer Welle von Zorn gegenüber des eßgestörten Kindes, dessen abegemagerter Körper ohne Pause anklagt. Positiv betrachtet sind Schuldgefühle Ausdruck von Sich-verantwortlich-Fühlen, von Wünschen nach Nähe und Sicherheit und damit ein Ausdruck der Elternschaft. Das Kind provoziert mit seiner Eßstörung die Schuldgefühle der Eltern, dies könnte als Ausdruck dafür angesehen werden, daß das Kind versucht, in engem emotionalem Kontakt zu bleiben.

Eltern können sich und andere entlasten, indem sie sich die Situation mit Abstand ansehen und Ihre eigenen Bedürfnisse außern. Wenn sie die wirklichen Beziehungen und Differenzen in der Familie wahrnehmen lernen, wird es möglich werden, mit dem Kind in Kontakt zu treten, ohne Schuldzuweisungen und Vorwürfe. - Nach dem Motto: 'Ich habe gelernt, daß ich Fehler nicht mehr reparieren kann. Ich versuche, anders zu sein - ich nehme meine Tochter einfach in den Arm.'(AOK-BIBLIOTHEK, S 81)

6.4. Mein Kind ist eßgestört - Phasen der Elternbefindlichkeit

Durch die Veränderung des Kindes sind die Eltern erschrocken, können aber den Gedanken nicht ertragen, daß eine Eßstörung die Ursache dafür sein könnte.


Sie werden sich der Eßstörung des Kindes bewußt, möchten jedoch verhindern, daß jemand davon erfährt.


Die Eltern fühlen sich für die Entwicklung und das Verhalten des Kindes verantwolrlich und finden die Vorstellung, versagt zu haben, unerträglich.


Es werden die eigenen Bedürfnisse und die der anderen Familienmitlieder nicht mehr wahrgenommen und die Eltern denken nur noch daran, wie sie ihr Kind retten und schützen können.


Die Eltern versuchen ihr eßgestörtes Kind zum Essen zu überreden, verlangen Versprechungen, stellen Belohnungen in Aussicht, schwanken zwischen Strenge und Nachgiebigkeit.


Es folgt eine Phase der Verzweiflung; Schuldgefühle machen sich breit bis die Eltern gemeinsam mit ihrem Kind einen Weg oder Hilfe von Professionisten finden. (Kontaktdressen sind am Anschluß der Arbeit aufgelistet.)


Den Eltern wird bewußt, daß eine Eßstörung in jeder Familie vorkommen kann und es wird ihnen möglich ihr Problem anzunehmen.


Die Sucht beherrscht das Kind und wird als solche von den Eltern erkannt. Sie erkennen, daß Argumente keinen Sinn haben und Kontrollen nicht weiter führen.


Sie grenzen sich von süchtigen Verhalten ab, wenden sich wieder anderen Familienmitgliedern und ihren eigenen Interessen zu.


Die Eltern erkennen, daß sie ihr Kind in die Selbständigkeit entlassen müssen, auch wenn sie Angst davor haben. Sie lernen, nicht mehr an Stelle des Kindes zu denken und zu handeln, übertragen ihm die Verantwortung für sein Leben.


Die Eltern geben die Suche nach Erklärungen und Sündenböcken auf und sind deshalb nicht mehr erpressbar. Sie stehen offen zu den Problemen.


Die Eltern sprechen ihre Gefühle und Wünsche ehrlich aus, üben sich in Gelassenheit, auch in schwierigen Situationen, und verlieren nicht die Hoffnung.

Schlußbemerkung:

Für mich als angehende Pädagogin ergibt sich aus den erläuterten Themenkreisen bezüglich Eßstörungen, im besonderen der Anorexia nervosa ein Zusammenwirken zwischen gesellschaftlichen, psychischen und familiären Komponenten.

Für mich gilt, die von Männern normierte Gesellschaft zu hinterleuchten und aufzudecken, um ein neues Bewußtsein darüber schaffen zu können, welche Auswirkungen es auf die Einzelperson haben kann.

Es sollten vor allem die Handlungskompetenzen der Frauen verbessert werden, indem ihre Autonomiebestrebungen und ihre Selbstverwirklichungstendenzen, wie auch die Entwicklung eigener Wertvorstellungen gestärkt werden, um 'krankmachenden Strukturen' entgegenzuwirken und um gesellschaftlich vorgegebene Muster zu durchbrechen.

Solch ein 'Schreckens-Märchen' wie die Geschichte vom Suppen-Kaspar und die 10 bis 15 prozentige Sterblichkeitsrate bei Anorexia nervosa sollten Anlaß genug sein, um ein neues Frauen-,wie Männerbild zu schaffen.



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