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1. Entwicklung unseres sozialpolitischen Systems
Im Wörterbuch wird Sozialpolitik auf folgende Art definiert :
Sozialpolitik ist die Bezeichnung für alle Maßnahmen, die der Sicherung und Verbesserung der Lebenslage des einzelnen Bürgers dienen -vor allem des sozial schwachen und schutzbedürftigen. In Deutschland ist durch sozialpolitische Maßnahmen des Staates, der Unternehmer und Verbände ein vorbildliches System der sozialen Sicherung entstanden, so zum Beispiel in Gestalt der Sozialversicherung.
Im Zuge der Industrialisierung gab es im 9 Jahrhundert erste soziale Maßnahmen um die Arbeit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen humaner zu gestalten. In den
80er Jahren des vorigen Jahrhunderts setzte sich der Reichskanzler Bismark für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein. Unter vielen wichtigen Regelungen sind das
Krankenversicherungsgesetz , das Unfallversicherungsgesetz ) und das Altersversicherungsgesetz (188 ) hervorzuheben. Diese soziale Politik war damals einmalig in der Welt.
Nach dem 2.Weltkrieg hat dieses starkausgebaute System jahrzentelang problemlos und gut funktioniert. Es bot eine bestmöglichste Unterstützung und Förderung der sozial schwächeren. Inzwischen wird jedoch bereits jede dritte Mark für soziale Leistungen ausgegeben. Die Ausgaben übersteigen schon seit längerer Zeit die vorhandenen Mittel.
2. Gefährdung des sozialen Systems
2.1 Problem der Finanzierbarkeit
Immer öfter ist die Rede von notwendigen Kürzungen sozialer Leistungen. Die kostendämpfenden Maßnahmen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung waren ein erster Schritt im Hinblick auf die Reduzierung sozialer Leistungen. Denn das soziale System ist mittlerweile in der jetzigen Form nicht mehr zu bezahlen.
Bei der Suche nach Gründen weist man oft auf die durch die Angliederung der neuen Bundesländer entstandenen Kosten hin. Dies kann jedoch nur einer der vielen ursächlichen Faktoren sein. Einen starken Einfluß auf die Lage des sozialen Systems hat die Beschäftigungssituation. Die wirtschaftliche Rezession, fehlende Aufträge und ein zurückgehender Konsum zwangen viele Firmen zu Entlassungen. Hohe
Lohnkosten hatten zur Folge, daß Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagerten oder
durch Maschinisierung und Mechanisierung weniger Arbeitskräfte benötigten. Damit gingen Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren, Ersatzarbeitsplätze in anderen Bereichen standen nicht zur Verfügung.
Bei einer großen Bevölkerungsgruppe findet also ein Wechsel statt. Von der Seite
derjenigen, die in das soziale System eingezahlt haben, wechselten sie hinüber auf die Seite derjenigen, die an das soziale System Ansprüche stellen und finanzielle Leistungen erwarten. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben in den letzten zwanzig Jahren auf unvorhersehbare Weise.
Um nur einige herausragende Beispiele zu nennen: Es erhöhten sich die Gesundheitsausgaben um das vierfache, die Renten um das sechsfache, die Ausgaben für Sozialhilfe um das 14fache und die der Arbeitslosenhilfe um das
16fache.
Laut dem Jesuitenpater Hengsbach wächst die Zahl derer -Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Kranke, Wohnungssuchende, alleinerziehende Frauen und kinderreiche Familien -, die vom Wohlstand ausgeschlossen sind, stetig.
Nun ist zu überlegen, wie dieses System zu sanieren ist und ob alle gewährten
Leistungen notwendig und sinnvoll waren oder sind.
Zur Berechtigung gewährter sozialer Leistungen
Experten fordern, daß alle erbrachten Leistungen des Sozialstaates genau auf ihre Berechtigung zu überprüfen sind. Und es wird wahrscheinlich jedem klar sein, daß Anderungen notwendig sind. Jedoch wo und wie sie vorgenommen werden sollen, darüber streiten sich Politiker und Sachverständige.
In einer Zeit, in der es der Wirtschaft und der Bevölkerung unseres Landes sehr gut ging, hat man eine Vielzahl sozialer Leistungen gewährt.
Dies ging soweit, daß in manchen Fällen eine vierköpfige Familie, deren männlicher Haushaltsvorstand erwerbstätig war, kaum mehr zur Verfügung hatte als eine vergleichbare Familie, die von der Sozialhilfe lebte. Wenn die erwachsenen Mitglieder dieser Familie sich nun durch Schwarzarbeit noch etwas hinzu verdienten, dann waren sie besser gestellt als der normal arbei- tende Steuerzahler.
DIHT-Präsident Stihl weist darauf hin, daß das Nettoeinkommen eines kauf- männischen Angestellten um das 6fache, die Sozialhilfe aber um das 8fache gestiegen ist. Sie beträgt 2 % des vorgenannten Nettoeinkommens. Es
sind also Beispiele dafür zu finden, daß es sich in manchen Fällen nicht lohnte zu arbeiten. Jedoch darf man dies nicht auf 'die Sozialhilfeempfänger' verall- gemeinern, und nach dem Grundsatz 'Arbeit und Leistung müssen sich wieder loh- nen' zur Kürzung sozialer Leistungen aufzurufen, wird auch keine Lösung sein. Denn bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation finden ja viele arbeitswillige Menschen keinen Arbeitsplatz.
Also fordert man Umverteilung statt Sozialabbau, damit, wie Kanzler Kohl
es formuliert, das Geld 'den wirklich Bedürftigen' zukommt.
Genau diesen Grundsatz habe Kohl nach Meinung vieler Experten 2 Jahre lang verletzt. Er habe, so der Vorwurf, mit seiner Steuer- und Sozialpolitik Bevölke- rungsgruppen bevorteilt, die der Begünstigung nicht bedurften.
So hat er den Einkommenssteuerspitzensatz für Großverdiener gesenkt, die
Sozialhilfe für Bedürftige im Durchschnitt bei 4 DM eingefroren.(Stern
Als weiteres Beispiel für die Begünstigung falscher Einkommensgruppen wird ein gutverdienender Single angeführt, der beim Erwerb einer Neubauwohnung durch Einkommensförderung und Schuldzinsabzug bedeutende Steuerbeträge er- lassen bekommt. Der Industriearbeiter mit 3 Kindern und einem sehr viel nie- drigeren Einkommen kommt überhaut nicht in den Genuß der staatlichen Ver- günstigungen, da er sich den Kauf der Wohnung gar nicht leisten kann. Er be- kommt aber auch keinen Berechtigungsschein für eine Sozialwohnung. Die
Miete auf dem freien Markt kann er jedoch kaum bezahlen.
Daher öffne sich - so lautet der Vorwurf - aufgrund einer verfehlten Sozial- politik die Schere zwischen denen, die einen hohen Lebensstandard haben und denen, die am Rande des Existenzminimums leben, immer mehr.
Es ist die Gegenüberstellung Single-Industriearbeiter jedoch ein gutes
Beispiel dafür, wie schwierig die Situation ist. Es gab bis vor kurzem
zu wenig Wohnungen zu mieten. Von Privatleuten erstellte Wohnungen fehlten ebenso wie Sozialwohnungen. Dem Industriearbeiter hätte der Berechtigungsschein vielleicht gar nichts genützt, denn es wäre keine Wohnung dagewesen.
Nun beschloß die Regierung, Anreize zu schaffen, damit Privatleute Geld in den Wohnungsbau investieren. Man ging davon aus, daß dann ein grös- seres Angebot an Wohnungen geschaffen würde. Das geschah auch.
Zuerst einmal stiegen jedoch durch die verstärkte Nachfrage die Kosten
für die Erstellung von Neubauten. Inzwischen jedoch ist das Angebot an Wohnungen größer geworden. Vermieter werden ihre Wohnungen nicht mehr so leicht zu hohen Mietpreisen los. Die Mietpreise gehen zur ck.
So spricht der Landesvorsitzende Hessen des Verbandes Deutscher Makler-
BZ vom 5 - auch von drastisch zurückgegangenen Mietpreisen.
Es ist folglich gar nicht so einfach zu entscheiden, welche Leistungen sinnvoll sind oder waren bzw. mühelos eingespart werden können.
Wenn der Vermieter zuerst einmal bei der Vermietung der erstellten Wohnung nicht auf seine Kosten kommt, da die Mietpreise sinken, so ist auch dies eine Form von Umverteilung, wenn auch in bescheidenem Maße.
Und Umverteilung wird ja nun von allen Seiten gefordert.
2.3 Mögliche Anderungsvorschläge
Auch den Politikern ist es klar, daß Anderungen notwendig sind. Experten rechnen sogar damit, daß 14 Millionen Bundesbürger bis zum Jahr 2000
in Armut leben werden. In einem Land mit relativ gut funktionierender Wirtschaft w chst die Zahl derjenigen, die vom Wohlstand ausgeschlos- sen sind, ständig. Mögliche Lösungsvorschläge sind jedoch sehr allge- mein gehalten. Ob man,wie eine Gruppe um den Jesuitenpater Hengsbach
eine neue Kultur des Teilens fordert, oder wie Kanzler Kohl zum Umdenken in der Gesellschaft aufruft und eisernes Sparen ansagt - ein klares Konzept scheint nicht in Sicht.
Lediglich der Vorschlag, das Steuer- und Sozialsystem auf ein sogenanntes Bürgergeld umzustellen -wer weniger als das Existenzminimum hat, bekommt einen Zuschuß, wer darüber liegt, muß Steuern zahlen- verspricht Einsparun- gen bei den Verwaltungskosten. Laut DIHT Präsident Stihl existieren nämlich über 1 0 soziale Leistungen, die bei 40 verschiedenen Beh rdenstellen bear- beitet werden.
Stihl ist einer der sehr wenigen, die sich um eine klare Aussage bemühen. Nach seiner Meinung gehören alle sozialen Leistungen auf den Prüfstand, und die Einschnitte müßten so umfassend sein, daß jeder Bürger in irgendeiner Form betroffen sein soll. Ferner meint er, daß man das Moment privater Eigenver- antwortlichkeit stärker in die gesamte Sozialversicherung einbauen müsse.
Ganz klar hält er eine deutliche Differenz zwischen Erwerbstätigen und den von der Sozialhilfe lebenden Menschen für notwendig. Dazu muß jedoch das Problem der Massenarbeitslosigkeit gelöst werden.
Er schlägt die Schaffung neuer Arbeitsstellen zu bescheidenen Bedingungen vor. Die aufgrund der hohen Lohnkosten ins Ausland verlagerten einfachen Arbeitsplätze sollen wieder eingerichtet und unter Tariflohn bezahlt werden. Für interessant hält er wegen der Einsparmöglichkeiten bei der Verwaltung den Vorschlag eines B rgergeldes. Doch spricht er sich dafür aus, daß man weiterhin Eliten brauche, denen materielle Anreize gegeben werden m ßten. Man dürfe mit dem Bürgergeld daher keine zu große Angleichung der Ein- kommen betreiben.
Es liegt auf der Hand , daß solche Stellungnahmen nicht von einem Ver- treter der Arbeitnehmerseite, sondern der Seite der Arbeitgeber kommen.
Als Reaktion wurde er von allen Seiten - ob Gewerkschaft oder CDU- eines Anschlages auf den Sozialstaat' bezichtigt.
Andere detaillierte Vorschläge waren jedoch nicht zu hören, denn Politi- kern fallen Ausarbeitung und Durchsetzung unpopulärer Entscheidungen schwer.
3. Zur politischen Durchsetzbarkeit notwendiger
Maßnahmen
Um die Gunst der Wähler zu erlangen, haben Politiker schon immer gerne Wahlgeschenke gemacht. 'Sozialpolitiker - gleichgültig ob von CDU oder SPD - haben sich durch das Ausstreuen sozialer Wohltaten hervorgetan.' (Stihl, Stern )
Es hat den Anschein, daß der Gesetzgeber bei der Gewährung sozialer Lei- stungen keine ausreichende Vorsorge für den Fall traf, daß sich die finan- zielle und wirtschaftliche Situation in unserem Land einmal ändern könnte. Nun müssen Einschnitte bei diesen Leistungen vorgenommen werden.
Dies wird bei den Betroffenen Unmut auslösen.
Finanzielle Zuwendungen zu gewähren bringt Wählerstimmen. Sie zu kürzen, kann Wählerstimmen kosten.
Nun möchten die Politiker in unserer Demokratie ja gewählt werden. Dazu
möchten sie es mit keiner Wählergruppe verderben. Solange sie Einschnit- te in das soziale Netz zum Wahlkampfthema machen, ist die Sanierung des sozialen Systems kaum durchführbar.
Nur wenn sich die großen Parteien einig sind, kann das soziale System in geänderter und modifizierter Form gehalten werden.
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