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Das Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs in der Europäischen Union - Rechtliche Bindung und Regelungsdefizite
Einleitung
Entwicklung und Bedeutung des EG-Vertrages
Am 1. Januar 8 traten die Römischen Verträge, bestehend aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG Vertrag) und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG Vetrag oder EURATOM), in Kraft. Sie wurden ein dreiviertel Jahr vorher in Rom von Italien, Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländern unterzeichnet. Vorausgegangen war im Jahre 1 die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS oder Montanunion), basierend auf dem Plan des französischen Außenministers Robert Schumann. Dieser wollte durch Verflechtung und Integration der damals wichtigsten Industriezweige Kohle und Stahl, eine dauerhafte Friedensordnung für Europa und langfristig eine europäische Föderation schaffen.
Die drei Wirtschaftsgemeinschaften wurden im Jahre 7 unter Fortgeltung der Verträge miteinander verschmolzen. Der EWG Vertrag hat sich zur Magna Charta der europäischen Einigung entwickelt, wurde mit dem Vertrag über die Europäische Union (sogn. Maastricht Vertrag) vom . Februar 2 umfassend neu gestaltet und hei t seitdem EG Vertrag. Er wurde das Grundgesetz der Europäischen Union und geht weit über eine reine Wirtschaftsverfassung hinaus.
Daher lohnt es sich, eines der Grundprinzipien der Europäischen Union genauer zu betrachten.
Der Art. 3 g des EG-Vertrages
Art. 3 EGV enthält eine Aufzählung von Prinzipien, die die Gemeinschaftsorgane in ihrem Handeln verpflichten. Sie dienen als Mittel zur Verwirklichung der Vertragsziele aus Art. 2 EGV (Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, einer Wirtschafts- und Währungsunion, , sind aber nicht abschlie end.
Eines dieser Prinzipien ist in Art. 3 g EGV bestimmt: Die Tätigkeit der Gemeinschaft umfaßt ein System, daß den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt '
Damit wird im Gegensatz zum wirtschaftsneutralen deutschen Grundgesetz eine bestimmte Wirtschaftsordnung festgeschrieben. Es ist ein Marktsystem mit Wettbewerb.
Was ist Wettbewerb?
Grundlagen und politische Ideen
Wirtschaftssysteme auf der Grundlage des Wettbewerbs beruhen auf philosophischen und politischen Konzepten, die wir, obwohl der Begriff erst 2 in Spanien auftaucht, als Liberalismus bezeichnen.
Die libertas war die Verfassung der römischen Republik. Sie galt für die Bürger Roms und meinte diejenigen, die
frei vom Sklavenstand waren. Liber hei t nicht nur frei, sondern benötigt einen Bezugspunkt, bedeutet also frei von einer Fessel, der Sklaverei.
Der Liberalismus entstand als Gegenkonzept zum Merkantilismus der absolutistischen Monarchien in Europa. Er meint die Freiheit von Abhängigkeit und Bevormundung, basiert auf der Vernunft des Menschen, auf der individuellen Selbstbestimmung und ist Ausdruck der Aufklärung.
Die Grundlagen des Liberalismus wurden von John Locke ) in seinem Werk 'über die Regierung' gelegt. Seine Grundaussage besteht darin, daß die Freiheit des Menschen zum vollkommenen Gl ck führt. Da der Mensch von Gott (dem Logos) mit dem Guten (der Vernunft) ausgestattet. wurde, stellt sich bei dessen freier Entfaltung das vollkommene Gl ck ein.
Adam Smith ) entwickelte dieses Konzept konsequent zu einem auf freien Wettbewerb basierenden Wirtschaftssystem fort und begründete im Jahre 6 mit seinem Werk Der Wohlstand der Nationen' die Klassische Nationalökonomie . Diese Klassiker des Liberalismus benutzten den wirtschaftlichen Erfolg auch als Gradmesser für die politische Kompetenz. Nur wer diese Kompetenz nachweist, hat auch das Recht auf politische Mitsprache.
Erst John Stuart Mill (1806 1873) setzt diese Kompetenz in seinem Utilitarismus nicht schon voraus, sondern will sie durch Einbindung des Individuums in ein freiheitliches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell entwickeln. Er benutzt den Wettbewerb als Chance zur Selbstbestimmung und Freiheit des Individuums.
Obwohl in Deutschland bereits vor und während des . Weltkrieges von ökonomen wie Walter Eucken und Alfred M ller-Armack das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft entworfen wurde, entstand die politische 'Theorie der Gerechtigkeit' dazu erst später durch John Rawls im Jahre . Nach dieser lassen sich die Nachteile einer Wettbewerbsordnung nur rechtfertigen, wenn zwei Gerechtigkeitsgrundsätze beachtet werden. Zum einen der Rechtsstaatsgrundsatz, daß alle Grundfreiheiten gleich verteilt werden. Zum anderen der Sozialstaatsgrundsatz, daß soziale und wirtschaftliche Ungleichheit nur zulässig sind, wenn Chancengleichheit für jedermann besteht und die
am wenigsten Begünstigten des Wettbewerbs den größten Vorteil daraus haben, d.h. es muß eine Umverteilung
stattfinden.
Wettbewerbstheorien
Parallel zu den politischen Begründungen haben sich die aus ihnen folgenden Wettbewerbstheorien entwickelt.
Der dynamische Wettbewerb der Klassik
Aus ihren Erfahrungen mit den feudal-merkantilistischen Fesseln war die Konzeption der Klassiker, wie A. Smith
und D. Ricardo, von der freien Konkurrenz entstanden. Für sie war der freie Wettbewerb ein unbeschränkter, mit der
Freiheit als Ziel in sich. Wettbewerb ist hier ein Verfahren herrschaftsfreier, gesellschaftlicher Koordination, das eine optimale Synthese aus den Zielen Freiheit, Gleichheit und Wohlstand für alle garantiert. Die Aufgaben des Staates bestehen neben der Sicherheitspolitik lediglich in der Bereitstellung einer funktionsfähigen Rechtsordnung, in deren Rahmen jedermann seine Interessen frei verfolgen und sein Kapital im Wettbewerb einsetzen kann.
Die Ergebnisse dieses Modells sind die Verteilung des Sozialprodukts nach dem Leistungsprinzip, Bedarfsbefriedigung durch dezentrale Lenkungsmechanismen und Konsumentensouveränität, d.h. Angebot nach den tatsächlichen Bedürfnissen und nicht nach nationalen Prestigeprojekten.
Die Kritik an diesem Modell besteht in der unzureichenden sozialen Kontrolle des Wettbewerbs zur Vermeidung
von verdeckten Qualitätsminderungen und Täuschung der Marktgegenseite. Es gibt die Gefahr der Selbstbeseitigung des Wettbewerbs.
Das neoklassische Wettbewerbsmodell
Hierbei handelt es sich um ein statisches Gleichgewichtsmodell, daß den Endzustand bei vollständiger Konkurrenz beschreibt. Seine Bedingungen wurden in mathematischen Modellen deduktiv abgeleitet und 1 von F H. Knight
formuliert: Rationales Verhalten aller Martkteilnehmer, vollständige Markttransparenz, unendlich schnelle Reaktionsgeschwindigkeit aller Marktteilnehmer, vollständige Mobilität der Produktionsfaktoren, unendlich viele Marktteilnehmer, freier Marktzutritt etc..
Schon dieser Ausschnitt zeigt die Grenzen dieses Modells. Es beruht auf rein theoretischen überlegungen, ist völlig realitätsfremd, seine Bedingungen lassen sich nicht auf administrativem Wege erreichen und im Optimum darf es nicht möglich sein, den Wohlstand zu erhöhen. Folglich lä t sich eine vollständige Konkurrenz nicht verwirklichen.
Workable competition als second best
Aus diesem Dilemma, der nie zu erreichenden vollständigen Konkurrenz, sollte die Theorie des funktionsfähigen Wettbewerbs helfen. John Maurice Clark suchte im Jahre 0 mit seinem Aufsatz 'Toward A Concept of Workable Competition' einen Ausweg. Er wollte die Unvollkommenheit der Märkte durch neu zu schaffende Unvollkommenheiten, sogn. Gegengifte , ausgleichen. Diese Gegengifttheorie' basiert auf der Erfahrung, daß die
Beseitigung von Unvollkommenheiten nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen führt. So wurde z.B. in Deutschland und den USA versucht, die Markttransparenz durch ein Preismeldeverfahren zu erhöhen. Dies führte aber keineswegs zu einer Erhöhung der Wettbewerbsintensität. Bei Ungewißheit über das Verhalten der Konkurrenten nimmt die Neigung zum friedlichen Parallelverhalten ab. Die positive Bewertung gewisser Marktunvollkommenheiten war das Neue bei Clark.
Dieses Modell hält aber noch am Ideal der vollständigen Konkurrenz fest. Das Problem besteht in der Definition, was ein positiver ökonomischer Zustand ist, an dem sich dann die Wettbewerbspolitik mit ihren Gegengiften' ausrichten kann. Die Industriestrukturen entfalten sich nicht mehr im Wettbewerb, sondern werden festgelegt.
Effective Competition
Dieses Konzept der Wettbewerbsfreiheit, welches aus der Kritik an der Harvard-School entstand, versteht Wettbewerb als Entdeckungsverfahren und knüpft an die freie Konkurrenz im klassischen Sinne an. Im Jahre 1961 brach J. Clark mit seiner Theorie des funktionsfähigen Wettbewerbs und suchte die Schumpertsche Theorie der Innovation in die allgemeine Wettbewerbstheorie zu integrieren. Da Unvollkommenheitsfaktoren für den technischen Fortschritt als unabdingbar erkannt waren, wurde die vollständige Konkurrenz nicht länger als wünschenswertes Ziel angestrebt.
Der Wettbewerb wird als dynamischer Prozeß gesehen, der durch eine nie abgeschlossene Vorstoß- und Verfolgungsphase charakterisiert ist. Pioniergewinne aufgrund temporärer Vorzugsstellungen sind sowohl Folge als auch Voraussetzung für den Wettbewerb, um dem Unternehmen einen Anreiz zur Initiative zu geben. Das Zentrale Problem dieser Theorie ist die Unterscheidung von wünschenswerten und unerwünschten Marktunvollkommenheiten. Ein Zielkonflikt von Freiheit des Wettbewerbs' und 'ökonomischer Vorteilhaftigkeit' wird verneint, was sich nach Hoppmann empirisch überprüfen lä t.
Chicago-School
Die Chicago-School entstand wie das Konzept der Wettbewerbsfreiheit in der Auseinandersetzung mit der Harvard- School. Es basiert auf der Leugnung empirisch nachweisbarer Zusammenhänge zwischen Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnissen. Daher hat sich der Staat weitgehend aus dem Wettbewerb herauszuhalten. Legitimes Ziel der staatlichen Wettbewebspolitik ist einzig die Vermehrung der allgemeinen Wohlfahrt und die Steigerung der Effektivität der Unternehmen. Der Staat hat sich auf die Bekämpfung künstlicher Marktzutrittsschranken wie Kartelle zu beschränken. Unternehmenszusammmenschlüsse und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen werden grundsätzlich positiv beurteilt, da sie die Effektivität der Unternehmen und die allgemeine Wohlfahrt fördere.
Definition des Wettbewerbsbegriffes
Synonym für Wettbewerb lä t sich das Wort Konkurrenz verwenden. Konkurrenz bedeutet das Zusammentreffen zweier Tatbestände oder Möglichkeiten.
übertragen auf den Wirtschaftsprozeß ist darunter eine marktbezogene Rivalitätsbeziehung zwischen mehreren Wirtschaftssubjekten zu verstehen, der das erwerbsorientierte Streben von Anbietern und Nachfragern nach Geschäftsbeziehungen mit Dritten zugrunde liegt. Es handelt sich hiernach um einen Verfahrensbegriff ohne inhaltliche Festlegung. Der so gesehene Wettbewerb muß inhaltlich ausgefüllt werden. Dazu dienen die oben beschriebenen Theorien und die auf ihnen basierende Wettbewerbspolitik. Die Wettbewerbspolitik selbst muß verfahrensneutral sein, d.h. die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen jedem den Zugang zum Wettbewerb
gewährleisten, niemanden unsachlich bevorzugen oder benachteiligen und darf die Ergebnisse des Wettbewerbs
nicht vorwegnehmen. Wettbewerbswidrige Strukturen, wie staatliche Monopole etc., müssen immer wieder neu begründet werden.
Warum Wettbewerb? - Aufgaben und Funktionen eines Wettbewerbssystems
Die Aufgabe des Wettbewerbs ist die dezentrale Steuerung der Wirtschaft zur Optimierung der einzel- und gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt. Er erfüllt dabei mehrere Funktionen.
Durch die Inaussichtstellung eines erhöhten Gewinns bei optimaler Marktanpassung wird eine Anreizfunktion geschaffen. Der Wettbewerb verbessert die qualitative und quantitative Marktversorgung, führt durch Rationalisierungsdruck zu Ressourceneinsparung, der technische Fortschritt wird gefördert und die betriebliche und gesamtwirtschaftliche Anpassungsflexibilität gesteigert. Es werden inflexible Strukturen verhindert, was zu einer geringeren Konjunktur- und Strukturanfälligkeit führt. Die Einkommen sind leistungsbezogen und entsprechen den Knappheitsverhältnissen. Nichtgefragte Leistungen werden nicht belohnt.
Neben diesen ökonomischen Funktionen hat der Wettbewerb noch eine gesellschaftspolitische Funktion. Er sichert die Wahrnehmung individueller Freiheiten und streut ökonomische Macht als Voraussetzung zur Erhaltung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.
Das Gegenstück zur dezentralen Steuerung der Wirtschaft ist eine ex ante Koordination der Wirschaftspläne durch zentrale Institutionen.
Das Leitbild der EU von einem Wettbewerbssystem und seine Normierung
Art. , , 2 I EGV: Die Ausgestaltung des Vertragszieles aus Art. 3 g EGV
Art. 3 g EGV fordert die Errichtung eines Systems , das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt. Diese Zielvorstellung steht in engem Zusammenhang mit dem Gebot des Art. 2 EGV, eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft zu fördern. Näher bestimmt wird
dieses Ziel durch die Wettbewerbsregeln in Kapitel 1 des Titel V EGV.
Zentrale Vorschriften dieses Abschnittes sind die Art. , , 2 I EGV. Sie sind die einzigsten Normen mit direkter Außenwirkung, da sie ein umfassendes Verbot beinhalten. Sie stellen damit auch die effektivsten Instrumente zum Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen dar.
Kartellverbot
Das Kartellverbot aus Art. 5 I EGV verbietet alle Verträge und abgestimmten Verhaltensweisen von Unternehmen sowie Beschlüsse ihrer Vereinigungen, die den Wettbewerb verhindern, einschränken oder verfälschen. Es folgt ein Katalog mit Regelbeispielen dieser Verbote, der einige typische Einschränkungen oder Verfälschungen des Wettbewerbs umschreibt. Der Katalog stellt aber keine abschlie ende Aufzählung dar, wie aus dem einleitenden Wort insbesondere' zu schlußfolgern ist. Im Einzelnen sind dies die Festsetzung von Preisen und Geschäftsbedingungen; die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investition; die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen; die Diskriminierung von Handelspartnern sowie Kopplungsgeschäfte.
Das Verbot solcher Verträge und Verhaltensweisen bezieht sich im Gegensatz zum § 1 des deutschen GWB nicht nur auf horizontale sondern auf alle Verträge und Verhaltensweisen, also auch auf vertikale.
Durch später zu besprechende Ausnahmeregelungen nach Art. 5 III EGV kann dieses Verbot durchbrochen werden.
Mißbrauchsverbot einer Monopolstellung
Weiter ist in Art. 6 EGV die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung verboten. Es folgt ein kurzer Katalog mit Regelbeispielen für mißbräuchliche Ausnutzungen, der aber keine abschlie ende Umschreibung der verbotenen Verhaltensweisen oder eine Definition enthält. Zur Auslegung des Mißbrauchsbegriffes wird auf eine inzwischen anerkannte Interpretationsmethode zurückgegriffen. Es sind Geist, Aufbau, und Wortlaut sowie System und Ziele des Vertrages zu ber cksichtigen. Damit wird auf das Leitbild der EU von einem Wettbewerbssystem zurückgegriffen. Auf dieses wird im . Abschnitt genauer eingegangen. Nach gefestigter Rechtsprechung umfa t der Mißbrauch Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung, die die
Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen.' Auch eine Definition für eine beherrschende Stellung wird nicht geliefert. Als Auslegungshilfen kommen verwandte Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, insbesondere die Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrages und der Katalog für Freistellungen vom Kartellverbot aus Art. 5 III EGV in Betracht, aber nicht die teilweise im Widerspruch zueinander stehenden nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten. Nach dem Europäischen Gerichtshof ist mit beherrschender Stellung die 'wirtschaftliche Marktstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.'
Das Mißbrauchsverbot trägt, im Gegensatz zum Kartellverbot des Art. 5 EGV, absoluten Charakter. Eine Freistellung ist prinzipiell ausgeschlossen, soweit das Gemeinschaftsrecht nicht selbst in Art. 0 II EGV das Verbot für unanwendbar erklärt.
Staatliche Beihilfen
Als letztes direkt wirkendes Verbot untersagt Art. 2 I EGV staatliche Beihilfen, die den Wettbewerb 'verfälschen'. Der Begriff 'Beihilfe' ist weit zu verstehen, um alle Wettbewerbsverfälschungen, und nicht nur Subventionen,
durch die Mitgliedstaaten zu erfassen. Auf das Merkmal der Verfälschung wird im . Abschnitt näher eingegangen. Ansonsten überlä t es die vorsichtige Formulierung des Art. 2 I EGV der Rechtsprechung und der Entscheidungspraxis der Kommission die Unvereinbarkeit festzulegen.
Die Zwischenstaatlichkeitsklausel
Gemeinsames Kriterium dieser Verbote ist die Eignung zur Handelsbeeinträchtigung zwischen den Mitgliedsstaaten. Diese Zwischenstaatlichkeitsklausel hat die Aufgabe den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts von demjenigen des innerstaatlichen Rechts abzugrenzen. Der Begriff des zwischenstaatlichen Handels umfa t den gesamten Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Darunter wird nicht nur der Warenverkehr, sondern auch der Dienstleistungsverkehr verstanden, wie etwa Bankdienstleistungen und Zahlungsverkehr, Versicherungen sowie die Niederlassungsmöglichkeit eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat.
Die Bedeutung der Zwischenstaatlichkeitsklausel ist heute nur noch gering, da die Rechtsprechung praktisch jede Maßnahme verbietet, die Handelsschranken im Gemeinsamen Markt schafft oder die vom Vertrag gewollte, gegenseitige Durchdringung der Märkte erschwert.
Die Charakterisierung des Wettbewerbs als 'unverfälscht'
Daß es sich beim Leitbild der Europäischen Union um ein Marktsystem mit Wettbewerb handelt, muß eigentlich nicht mehr festgestellt werden. Die konkretere Einordnung innerhalb der verschiedenen Wettbewerbsvorstellungen bleibt aber noch näher zu erläutern.
Die Zielvorstellung des Art. 3 g EGV, ein System des unverfälschten Wettbewerbs zu errichten, steht in engem Zusammenhang mit dem Gebot des Art. 2 EGV, eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft zu fördern. Art. , 6 EGV sind in diesem Lichte auszulegen und so anzuwenden, daß sie einen wirksamen Wettbewerb herbeiführen. Ergänzt wird Art. 3 g EGV durch die Präambel des Vertrages, die ein einverständliches Vorgehen verlangt, um einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten. Die Festlegung auf ein Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs öffnet das Tor für ordoliberale Vorstellungen. Wir sind also wieder in der
Freiburger Schule der schon erwähnten ökonomen Walter Eucken und Alfred Müller-Armack. So sah es Alfred
M ller-Armack auch selbst als er schrieb: Der Vertrag enthält kein ausdr ckliches Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft. Diese ist zur Zeit der Abfassung des Rom-Vertrages noch viel zu sehr als deutsche Spezialität angesehen worden, . Aber was den Inhalt des Gemeinsamen Marktes angeht, so unterliegt es keinem Zweifel, daß er im Prinzip allein durch die Anwendung der Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft gestaltet werden kann.'
Der Wettbewerb soll nicht als Institution , wie etwa bei Adam Smith, geschützt werden, sondern als Instrument zur Erreichung optimaler wirtschaftlicher Ergebnisse eingesetzt werden. Nach Erhard Kantzenbach ist dies bei beweglicher Nachfrage (durch Produkthomogenität und Markttransparenz) und großer Leistungsfähigkeit der Unternehmen (durch hohe Marktanteile im weiten Oligopol) zu erwarten.
Der Begriff der Wettbewerbsverfälschung wird im EG Vertrag in einem doppelten Sinne gebraucht. Zum einen wird er in Art. 5 I EGV für Kartelle verwendet. Hier ist er eng zu verstehen. Zum anderen muß der in Art. 3 g EGV verwendete Begriff der Wettbewerbsverfälschung weiter als der in Art. 5 I EGV verwendete Begriff sein, da Art 3
g EGV sich primär auf Art. 5 I EGV bezieht. Der Begriff der Wettbewerbsverfälschung in Art. 2 I EGV muß auch in diesem weiten Sinne ausgelegt werden. Das Verbot der Wettbewerbsverfälschung umfa t also die Beseitigung
und die Beschränkung des Wettbewerbs selbst, darüber hinaus die Wettbewerbsverfälschung im engeren Sinne zwischen den Unternehmen.
Gebunden durch das Verbot wird die Gemeinschaft selbst. Das System des unverfälschten Wettbewerbs stellt einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar. Weiter werden die Mitgliedstaaten, z.B. in Art. 2 I EGV und die Unternehmen, wie in Art. 5 I oder 6 EGV gebunden. Dieser Grundgedanke zieht sich durch den gesamten Vertrag.
Diesem Prinzip müssen jedoch Grenzen gesetzt sein. Verstehen wir unter der Wettbewerbsverfälschung jede staatliche Maßnahme, welche sich auf den Wettbewerb auswirkt, würde das umfassende Verbot letztlich alle Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen verbieten.
Eine Grenze könnte der Anwendungsbereich des EGV unter dem Stichwort Zwischenstaatlichkeitsklausel sein. Doch abgesehen von der schweren Konkretisierbarkeit dieses Begriffes, enthält der EGV allgemeine Regeln, die deutlich über den Kreis der durch den Vertrag geregelten Materien hinausgehen und sich auf die Gesamtheit der Politik der Mitgliedstaaten beziehen können.
Die Unterteilung in 'künstliche' und 'natürliche' Wettbewerbsverzerrungen könnte eine weitere Grenze darstellen, da nach dem liberalen Wirtschaftsmodell nur künstliche Wettbewerbsverzerrungen verboten sind. Jedoch baut Art. 2
EGV gerade auf der Tatsache auf, daß es natürliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gibt. Außerdem will
der Vertrag gerade die Unterschiede, wie z.B. der Arbeitsbedingungen, abbauen, auf denen sich die Theorie der natürlichen Wettbewerbsbedingungen st tzt.
Schlie lich können in zahlreichen Bereichen die nationalen Allgemeininteressen so stark sein, daß ein generelles Verbot staatlicher Maßnahmen ausgeschlossen werden muß. Und hier liegen auch die Schranken des Verbotes. Danach können diese Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts durchbrochen werden, wenn überragende europäische oder nationale Allgemeininteressen dies zwingend erfordern. Es hat also eine Verhältnismä igkeitsprüfung mit den üblichen Komponenten der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zwischen den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts und den Allgemeininteressen stattzufinden.
Zum Instrumentarium für die Ausgestaltung dieser ordoliberalen Vorstellungen wird auf den späteren Abschnitt
'Durchsetzung des Leitbildes' verwiesen.
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