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Referat Annette von Droste-Hülshoff 'Die Judenbuche'

literatur referate

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Wo ist die Hand so zart, daß ohne Irren

Sie sondern mag beschränkten Hirnes Wirren

So fest, daß ohne Zittern sie den Stein

Mag schleudern auf ein arm verkümmert Sein?

Wer wagt es eitlen Blutes Drang zu messen,

Zu wägen jedes Wort, das unvergessen

In junge Brust die zählen Wurzeln trieb,

Des Vorurteils geheimen Seelendieb?

Du Glücklicher, geboren und gehegt

Im lichten Raum, von frommer Hand gepflegt,

Leg hin die Waagschal', nimmer dir erlaubt!

Laß ruhn den Stein - er trifft dein eignes Haupt!

Annette von Droste-Hülshoff

'Die Judenbuche'

Die Autorin:

Am 10. Jänner 1797 wurde Annette auf dem Familienerbgut Hülshoff, südwestlich von Münster in Westfalen, als Sproß eines uralten Adelsgeschlechtes geboren. Auf diesem Schloß, dann auf einem kleinen Gut bei Münster und in der alten fränkischen Burg Meersburg am Bodensee, die ihrem Schwager gehört, verlief ihr Leben in stiller Abgeschiedenheit, fern der verwirrenden Erscheinungen der Großstadt. Ihre dichterischen Werke umfassen Epen, Verserzählungen, die Prosanovelle 'Die Judenbuche', die zu den größten Schöpfungen deutscher Erzählkunst gehört. Am 24. Mai 1848 starb sie unvermählt in Meersburg.

Annette von Droste-Hülshoffs Leben:

12. Januar: Geburt von Anna Elisabeth (Annette) Freiin Droste zu Hülshoff auf der

Wasserburg Hülshoff, Gemeinde Roxel, bei Münster als zweites von vier Kindern von

Clemens August Freiherr Droste zu Hülshoff und seiner Frau, Therese, geborene Freiin zu

Haxthausen.

Unterricht durch die Mutter.

Erste Gedichte entstehen.

Zahlreiche Besuche bei der Verwandtschaft und Freunden der Familie.

Häufige Erkrankungen.

September: Zeichenunterricht.

Oktober: Lied eines Soldaten in der Ferne.

Januar: Klavierunterricht.

September: Der Abend.

November: Abendgefühl.

Beschäftigung mit der Dichtung Goethes und Schillers.

25. März: Das Schicksal.

Winter: Im Hohenholter Damenstift Auftritt in einer Theateraufführung. Die Droste fällt

durch ihre schauspielerische Leistung so auf, daß in Münster über sie gesprochen wird.

Darauf Warnung Friedrich Leopold Graf von Stolbergs vor der Leidenschaft fürs Theater.

Frühjahr: Besuch der Oper Don Giovanni.

November: Bekanntschaft mit Anton Mathias Sprickmann in Münster, der zu ihrem

literarischen Mentor wird.

Dezember: Heimliche Lektüre von Schillers Werken.

Winter: Literarische Abende auf Hülshoff: Don Quixote, Shakespeare.

Begegnung mit Catharina Busch, der späteren Mutter von Levin Schücking.

Sommer in Bökendorf bei den Haxthausen (erste Informationen für Die Judenbuche).

Bekanntschaft mit Wilhelm Grimm.

November: Das befreyte Deutschland.

Dezember: Arbeit am Dramenfragment Bertha.

Mai: Einführung in die Gesellschaft in Münster.

Januar/Februar: Unruhe.

August: Bekanntschaft mit Wilhelmine von Thielmann, in deren Kreis sich die vornehme

Welt Münsters versammelt.

Jahresanfang: Beginn der Arbeit an Walther (ein romantisches Rittergedicht).

August: Bekanntschaft mit Heinrich Straube in Bökendorf, Wiedersehen mit Wilhelm Grimm, Bekanntschaft mit Amalie Hassenpflug in Kassel.

Jahresanfang: Das Morgenroth schwimmt still entlang (u. a. geistliche Lieder für die

Stiefgroßmutter).

Ostern: Besuch von Heinrich Straube auf Hülshoff.

10. April: Reise nach Bökendorf.

Juni/Juli: Kur in Bad Driburg.

August: Bettellied.

September: Straube besucht sie in Bökendorf.

Geistliches Jahr, erster Teil (von Neujahr bis Ostern).

April: Intensivierung der Liebesbeziehung zu Heinrich Straube.

Mai: Bekanntschaft mit Johannes Wolff, einem Kasseler Architekten.

Juni: Wie sind meine Finger so grün.

Juli: August von Arnswaldt kommt nach Bökendorf. Es kommt zu der »Affäre« um Heinrich

Straube und August von Arnswaldt, die mit Trennung endet.

Juli/August: Rückkehr nach Hülshoff.

Erste Notizen zur Judenbuche.

Beginn der Arbeit am Ledwina-Roman (bleibt unvollendet).

September: Reise nach Rödinghausen zur Familie von Dücker (entfernte Verwandte).

Zwischenstation bei der Familie von Wendt-Papenhausen.

Winter: Lektüre der Romane von Walter Scott.

Oktober: Erste Rheinreise und Einführung in die rheinische Gesellschaft: Besuch in Bonn

bei Clemens von Droste-Hülshoff und Moritz von Haxthausen. Weiterreise nach Köln zu

Werner von Haxthausen und dort Bekanntschaft mit Sibylle Mertens-Schaaffhausen (einer

reichen Bankiersgattin und Literaturliebhaberin).

Ende Oktober: Besuch bei Wilhelmine von Thielmann in Koblenz.

April: Rückkehr nach Hülshoff.

25. Juli: Tod des Vaters.

September: Umzug ins Rüschhaus bei Münster, dem Witwensitz der Mutter.

Beginn der Arbeit am Hospiz auf dem großen St. Bernhard (1833 vollendet).

Mai: Zweite Rheinreise nach Bonn, Besuch bei Sibylle Mertens-Schaaffhausen.

Bekanntschaft mit Johanna und Adele Schopenhauer.

Juni: Weiterfahrt nach Bad Godesberg zu Wilhelmine von Thielmann.

Arbeit am ersten Teil der Judenbuche.

15. Juni: Schwere Erkrankung im Zusammenhang mit dem Tod ihres Bruders Ferdinand.

Die frühere Amme, Catharina Plettendorf, kommt ins Rüschhaus.

September/Oktober: 3. Rheinreise.

Januar/Februar: Pflege der erkrankten Sibylle Mertens-Schaaffhausen.

November: Tod Catharina Schückings.

Juli: Krankenpflege von Catharina Plettendorf.

Der Arztes Vermächtniß (ein Versepos).

Februar: Bekanntschaft mit dem Kreis um Christoph Bernhard Schlüter in Münster, u.a.

Louise Bornstedt und Wilhelm Junkmann.

Sommer: Nicht wie vergangner Tage heitres Singen.

August: Reise in die Niederlande zum Besuch der Familie de Galliéris in Zutphen.

Winter: Beginn der Arbeit an Entzauberung.

August: zuvor mehrmals verschobene Reise nach Eppishausen/Thurgau, Schweiz zu ihrer

Schwester Jenny, verheiratete von Laßberg.

Bearbeitung des Lochamer Liederbuches (eine Sammlung altdeutscher Lieder).

Lieder.

Der Graf von Thal.

Oktober: Am grünen Hang ein Pilger steht.

November: Aufenthalt in Bonn bis ins Jahr 1837.

September: Beginn der Arbeit an Die Schlacht im Loener Bruch (ein Versepos, das 1838 in

der Gedichtsammlung erscheint).

Klänge aus dem Orient.

April: Reise nach Abbenburg.

11. August: Gedichte der Annette Elisabeth von D . . . H . . . bei Aschendorff in Münster auf

Vermittlung von Christoph Bernhard Schlüter erschienen.

Herbst: Der weiße Aar.

Jahresende: Literarischer Zirkel bei Elise Rüdiger in Münster. Erste intensivere Kontakte zu

Levin Schücking, der diesem Zirkel ebenfalls angehört (zuvor nur seltene Besuche als Kind

im Rüschhaus). Notizen zum zweiten Teil der Judenbuche (Bauernhochzeit, Judenmord,

Flucht und Heimkehr des Mörders).

Sommer: Fortsetzung des Geistlichen Jahrs.

Des alten Pfarrers Woche (in der theologischen Quartalsschrift Coelestina, Tübingen).

Der Graf von Thal (Poetischer Hausschatz des deutschen Volkes, Leipzig).

Fortgesetzte Besuche Schückings.

Januar: Der Geyerpfiff.

Februar: Abschluß des Geistlichen Jahres.

Sommer: Perdu! (eine Literartursatire).

Winter: Mitarbeit am 'Malerischen und romantischen Westphalen' von Ferdinand

Freiligrath und Levin Schücking.

Januar: Beginn der Arbeit an Bei uns zu Lande (das Fragment eines Westfalen-Romans). Im

folgenden Veröffentlichung verschiedener weiterer Texte.

ab September: Aufenthalt auf der Meersburg.

Oktober: Schücking kommt als Bibliothekar auf die Meersburg.

Februar: Der Knabe im Moor. Im Moose. Warnung an die Weltverbesserer. Gruß an ***

(Wilhelm Junkmann), Die Taxuswand. Am Thurm. Junge Liebe zur Veröffentlichung im

»Morgenblatt« durch Schücking eingereicht.

2. April: Schücking als Prinzenerzieher zum Fürsten Wrede nach Mondsee.

22. April - 10. Mai: Die Judenbuche in Fortsetzungen im Stuttgarter »Morgenblatt« von

Cotta erschienen.

Juni: Westphälische Schilderungen.

August: Rückkehr ins Rüschhaus. Gesundheitliche Probleme.

November: De spiritus familiaris des Roßtäuschers.

25. Februar: Veröffentlichung von Die Schenke am See im »Morgenblatt«.

März: schlechte gesundheitliche Verfassung.

Sommer: Aufenthalt in Abbenburg.

Ende September: Rückkehr mit der Mutter und Elise Rüdiger nach Meersburg.

7. Oktober: Hochzeit Schückings mit Louise von Gall.

17. November: Ersteigerung des Fürstenhäusle.

Winter: Das öde Haus.

18. Februar: Bekanntschaft mit Philippa Pearsall.

März: Mondesaufgang. An einen Freund.

Mai: Besuch Levin und Louise Schückings in Meersburg.

August/September: Veröffentlichung von Das ich der Mittelpunkt der Welt. Spätes

Erwachen. Die todte Lerche. Lebt wohl. Mein Beruf. Das Haus in der Haide im

»Morgenblatt«.

September: Rückkehr ins Rüschhaus.

14. September: Gedichte (Gesamtausgabe) bei Cotta erschienen.

Mitarbeit an der »Kölnischen Zeitung«.

November: Beginn der Arbeit an Im Grase. Joseph.

Dezember: Veröffentlichung von Grüsse. Im Grase. Die Golems. Die beschränkte Frau.

23. Februar: Tod Catharina Plettendorfs.

März: Das Bild. Durchwachte Nacht.

22. April: Volksglauben in den Pyrenäen in der »Kölnischen Zeitung« erschienen.

April: Das Wort begonnen.

Sommer: Aufenthalt in Abbenburg.

August: Zwey Legenden (Das verlorene Paradies, Gethsemane - letztes Gedicht für

Schücking). Unter den Linden. Auch ein Beruf.

29. August: Mondesaufgang im »Rheinischen Taschenbuch auf das Jahr 1846« erschienen.

Oktober: Westphälische Schilderungen in Fortsetzungen in den Historisch-politischen

Blättern für das katholische Deutschland.

Oktober: Rückkehr ins Rüschhaus.

November: Gastrecht. Auch ein Beruf.

August: An einem Tag wo feucht der Wind.

September: Der sterbende General. Sylvesterabend. Das Bild. Das erste Gedicht.

Durchwachte Nacht. Mondesaufgang erschienen.

September: Endgültiger Bruch mit Schücking.

Mitte September: Rückkehr nach Meersburg.

März: Fortschreitender Verfall.

April: Gemüth.

Juni: Der Schweizer Morgen (Schloss Berg).

21. Juli: Testament.

August: Auf hohem Felsen lieg ich hier.

Januar: Als diese Lieder ich vereint.

24. Mai: Tod.

26. Mai: Begräbnis in Meersburg.


Das Werk:

Der Erstdruck der »Judenbuche« erschien in 16 Teilen vom 22. April bis 10. Mai 1842 in Cottas »Morgenblatt für gebildete Leser« (Nr. 96-111). Die Druckvorlage ist nicht erhalten. Der Erstdruck wurde jedoch von der Dichterin als ihrem Willen entsprechend bestätigt. Am 26. Mai 1842 schrieb sie an Levin Schücking (1814-83):

Im Museum war ich seit einigen Tagen nicht, bis dahin war meine

>Judenbuche< beendigt, von der ich nur das im vorigen Briefe Ge-

sagte wiederholen kann, nämlich: daß ich den Effekt fand, wo ich ihn

nicht suchte, und umgekehrt, das Ganze aber sich gut macht. Es ist

mir eine Lehre für die Zukunft und mir viel wert, die Wirkung des

Drucks kennengelernt zu haben. Gestrichen hat man mir nur einmal

ein paar Zeilen, nämlich das zweite Verhör ein wenig abgekürzt;

wenn Du es nicht schon getan hattest, worüber ich ungewiß bin.

Zuerst war ich zürnig, grimmig wie eine wilde Katze, und brauste im

Sturmschritt nach Deisendorf; auf dem Rückwege war ich aber schon

abgekühlt und gab dem Operateur - Hauff, Dir oder gar mir selbst -

recht; sonst ist Wort für Wort abgedruckt.«

Für den Abdruck im »Morgenblatt« erfand der Redakteur Hermann Hauff den Titel »Die Judenbuche«. Nach Erhalt der Druckvorlage schrieb er am 4. April 1842 an Schücking:

Verehrtester Herr, Die mir gütigst mitgetheilte Erzählung behalte ich

mit Vergnügen, obgleich dieselbe etwa zwei Bogen unseres Formats

füllen wird. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Besuch und erinnere

Sie an das Versprechen, dem Journal, an dessen Leitung ich Theil

nehme, auch ferner Ihre schätzbare Theilnahme schenken zu wollen.

Ich bin hochachtungsvoll Ihr ergebenster H. Hauff.

Der Erzählung wird ein Titel zu schöpfen seyn. Vielleicht fällt Ihnen

einer ein und Sie hinterlassen mir denselben schriftlich. Wo nicht, so

übernehme ich das Geschäft. Daß die jetzige Überschrift daneben

stehen bleibt, versteht sich.«

Mit der von Hauff genannten »jetzigen Überschrift« ist offensichtlich der heutige Untertitel »Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen« gemeint. Es dürfte sich dabei also um den von der Droste formulierten Titel handeln. Möglicherweise hat sie selbst die Vorläufigkeit und zu große Allgemeinheit dieses Titels, der übrigens den Titelgebräuchen des »Morgenblattes« entspricht, empfunden. Zu der von Hauff vorgeschlagenen Wahl eines neuen Titels durch Schücking kam es nicht. Dieser schrieb am 12. April 1842 an die Droste:

»Ihre Erzählung, gnädiges Fräulein, habe ich Hauff gelassen [. . .]. Ich

hatte nicht die Zeit, einen Titel zu erfinden und habe es ihm überlas-

sen müssen.«

Hauff erfand nach dem dreimal in der Erzählung vorkommenden Begriff den Titel »Die Judenbuche«. Am 4. Mai 1842 noch während des Erscheinens der »Judenbuche« schrieb die Droste an Schücking:

». . . und dann füttert es [das >Morgenblatt<] seit 10-12 Tagen sein

Publikum so unbarmherzig mit meiner Erzählung, von Hauff >Die

Judenbuche< getauft, daß alle Dichter, die sich gedruckt sehen möch-

ten, mich verwünschen müssen; denn ich und noch ein anderer Prosa-

ist haben vorläufig das Blatt unter uns geteilt und werden wohl in die-

sem ganzen Monat auch nicht ein fremdes Hälmchen aufkommen las-

sen.«

Dem Abdruck der »Judenbuche« folgt im »Morgenblatt« ein Aufsatz von Kohl mit dem Titel »Die Judenstadt in Prag«. Die Droste erkannte, wie sie am 26. Mai 1842 an Schücking schrieb, darin einen ihrer Novelle angereihten Bericht:

Unmittelbar hinterdrein erschien >Die Judenstadt in Prag< von Kohl.

Ich erschrak und dachte, es sei eine gute Erzählung, mit der man die

Leser für meine schlechte entschädigen wolle; statt dessen war es

aber ein meiner Geschichte gleichsam angereihter Aufsatz über die

Stellung der Juden überall und namentlich in Prag. Jetzt schien mir

eher etwas Günstiges darin zu liegen, als ob man das Interesse der

Leser durch meine Judenbuche für diesen Gegenstand angeregt

glaube [. . .]«

Die Formulierung »meine Judenbuche« erlaubt die Annahme, daß die Titelwahl Hauffs die volle Billigung der Droste gefunden hatte.

Die Geschichte spielt um die Mitte des 18. Jahrhunderts in einem westfälischen Dorf, das 'inmitten tiefer und stolzer Waldeinsamkeit' liegt und in dem Holz- und Jagdfrevel an der Tagesordnung sind. Den begangenen Rechtsverletzungen begegnet man jedoch 'weniger auf gesetzlichem Wege, als in stets erneuten Versuchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten'. So ist Friedrich Mergel bereits durch seine Herkunft für seinen späteren Lebensweg geprägt. In seinem Elternhaus herrscht 'viel Unordnung und böse Wirtschaft'; sein Vater ist ein chronischer Säufer und wird zu den 'gänzlich verkommenen Subjekten' gezählt. Nachdem ihm seine erste Frau weggelaufen ist, heiratet er die stolze und fromme Margret Semmler. Es dauert nicht lange, bis auch das gesunde Kind in das Unheil, das der Vater verbreitet, hineingezogen wird. Als Friedrich neun Jahre alt ist, kommt der Vater in einer 'rauhen, stürmischen Winternacht' nicht nach Hause; man findet ihn tot im Brederholz. Nach diesem schauerlichen Ereignis haftet dem scheuen und verträumten Jungen in den Augen seiner Altersgenossen etwas Unheimliches an. Er gerät auch wirklich mehr und mehr in den Bannkreis verhängnisvoller Mächte, die in dem 'unheimlichen Gesellen' Simon Semmler, der Bruder Margerts, Gewalt über ihn gewinnen. Unter dem Einfluß seines Onkels verschafft sich der häufig verspottete und gering geachtete Junge einen 'bedeutenden Ruf' im Dorf: Wegen seiner Tapferkeit und seines 'Hangs zum Großtun' wird er bewundert und zugleich gefürchtet. Sein ständiger Begleiter, Johannes Niemand verkörpert gleichsam sein abgelegtes Ich, er ist 'sein verkümmertes Spiegelbild'. Friedrich wird, ohne daß man ihm vor Gericht etwas nachweisen kann, mitschuldig an dem Tod des Oberförsters Brandes, der von den Blaukitteln, einer besonders listigen Holzfrevlerbande, im Brederholz erschlagen wird, und begeht schließlich aus verletztem Ehrgefühl einen Mord an dem Juden Aaron, nachdem dieser ihn wegen einer Restschuld von zehn Talern öffentlich bloßgestellt hat.

Da Friedrich jedoch mit seinem Schützling Johannes Niemand flieht, kann er des Mordes nicht überführt werden. Nach 28 Jahren - der Mord ist längst verjährt - kehrt Mergel als alter, 'armseliger Krüppel' aus türkischer Gefangenschaft zurück. Er gibt sich als Johannes Niemand aus und verdient sich sein Gnadenbrot mit leichten Botengängen. Das Brederholz meidend und doch unwiderstehlich von ihm angezogen, erhängt er sich schließlich an der sogenannten Judenbuche. In seinem Selbstmord erfüllt sich der an den Judenmord mahnenden Spruch, den die Glaubensgenossen Aarons zu seiner Rache in den Stamm eingehauen hatten: 'Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast!'

Interpretation:

Der Novelle liegt eine wahre Begebenheit zugrunde, die der Dichterin seit ihrer Kindheit aus Erzählungen über ihre westfälische Heimat vertraut war und die ihr Onkel August von Haxthausen unter dem Titel 'Geschichte eines Algierer Sklaven' nach Gerichtsakten aufzeichnete und 1818 veröffentlichte. Die Schriftstellerin erfindet eine Vorgeschichte zu dem historisch beglaubigten Ereignis, womit es ihr gelingt dieses Ereignis als Folge einer Störung der menschlichen Gemeinschaft darzustellen. Das Verhängnisvolle dieser allgemeinen gesellschaftlichen Situation enthüllt sich in einem individuellen Schicksal, das sich in einer Reihe von ungewöhnlichen Ereignissen zunehmend verdichtet und dramatisch zuspitzt.

Entsprechend der Buche, der die Juden die Rache an dem Mörder anvertrauen, erscheint die Natur in der Novelle stets als Richter und Zeuge. Die Dichterin veranschaulicht durch diese enge Verbindung zwischen dem Handeln des Menschen und der ihn umgebenden Natur, daß, verliert er sein 'inneres Rechtsgefühl', er zugleich die Einheit von Menschen und Natur stört, die in der göttlichen Seinsordnung festgelegt ist. Bezeichnenderweise geschehen in der 'Judenbuche' alle furchtbaren Ereignisse in der Nähe der Buche im Brederwald, während einer stürmischen oder monderhellten Nacht. Der Brederwald wird zu einem magischen Raum, die Buche zum 'Dingsymbol für ein Geschehen des Unheils'.

Die historischen Grundlagen:

Das tatsächliche Geschehen ist heute nur noch aus spärlichen Quellen zu rekonstruieren. Wie August von Haxthausen in seiner auf dem historischen Geschehen fußenden »Geschichte eines AlgiererSklaven« berichtet, geschah der Judenmord am 10. Februar 1783. Caspar Moritz von Haxthausen zu Abbenburg, der Urgroßvater der Droste, war zur Zeit des Mordes Inhaber der Patrimonial- und halben Go-[Gau]gerichtsbarkeit in Bökendorf, Altenbergen, Bellersen und

Großenbreden. Nach seinem Tode am 19. April 1783 folgte ihm als Erbe sein Sohn Werner Adolf von Haxthausen (1744-1823). Daß der Mord an dem Juden im Jahre 1783 und nicht, wie häufig angenommen wurde, 1782 geschah, bestätigt ein erhaltener Brief der Wilhelmine Antonette von Haxthausen, Stiftsdame zu Freckenhorst, an ihren Bruder Caspar Moritz von Haxthausen, der ihr offensichtlich in einem Brief vom 24. Februar 1783 den gerade vierzehn Tage zurückliegenden Vorfall des Judenmordes berichtet hatte:

Freckenhorst, den 3ten mertz 1783

Hertzlieber bruder


aus deinen wehrtesten schreiben vom 24ten Febr. welges ich heut

entfangen, ersehe mit vergnugen eürer allerseitz bestendiges wohl-

sein, wovor ich auch den allerHöchsten zu dancken habe, die 70 rht

habe zu gleich richtig erhalten, ich dancke dich lieben bruder vor die

bezhalung die quitung kommet hir beÿ - mein gott was ist es eine

erschrecklige mordthat welge der bauer an den armen juden verübet

ich entsetze mir wan nuhr dar auf gedencke den dähter wirdt noch

endtlich aufgefangen werden man höret hir im landt auch fiehles von

sthelen und übels, aber von einer so grausahmen mordthadt gott lob

nicht, in munster haben sie noch kurtzlich die überwassers kirge

bestholen, und auch noch mehrere kirgen raub, sie meinen noch die

dähter zu bekommen, die Erbschaft vom seeligen fürsten an den

oberstalmeister von westphalen solle gewis sehr ansehnlig sein,

adieu lieber bruder ich befehle mir in deiner brüderlichen affection

und bin lebens lang mit aufrichtigen hertzen nebst meine befehlung

an deiner frauw

meines lieben bruders

getreüe ergebene schwester

WA von Haxthausen

August von Haxthausen nennt den Mörder mit Namen »Hermann Winkelhannes«, später fügt er noch den Vornamen »Johannes« und die Ortsangabe »aus Bellersen« hinzu. Als Tatort nennt Haxthausen das »Heilgen Geist Holz« nördlich von Ovenhausen. In der späteren Abschrift verändert er die Ortsangabe in »Joelskampe gleich unter dem Ovenhauser Fußwege«. Gemeint ist eine Stelle im Abbenburger Forst zwischen Bökendorf und Ovenhausen. Das entspricht auch der heutigen dörflichen Überlieferung, die allerdings von dem Haxthausenschen Bericht beeinflußt sein kann. Abweichend davon ist die Angabe bei Joseph Redegeld, der, auf das angebliche Zeugnis eines Großneffen des erschlagenen Juden gestützt, den Tatort in den Bollkasten-Wald nordöstlich von Bellersen verlegt. Seine Auskunft ist aber wohl mit Vorsicht zu gebrauchen, da seine Ortskenntnis

wenig gründlich zu sein scheint. So bestreitet er überhaupt die Existenz des Heiligengeisterholzes nördlich von Ovenhausen. Nach der Flucht aus seiner Heimat geriet der Mörder in algerische Sklaverei. Der Winkelhannes aus dem Bericht Haxthausens erzählt nach seiner Rückkehr, daß 1806 Hieronymus Bonaparte den Dei, das gewählte Oberhaupt der Janitscharen, gezwungen habe, die

Christensklaven freizugeben, und er dadurch auch wieder in die Freiheit gelangt sei.

Tatsächlich erhielt Jérôme [Bonaparte], der damals in Genua lag, als Fregattenkapitän schon 1805 von Napoleon den Befehl, mit seinem Geschwader nach Algier zu fahren und dort die Auslieferung

der französischen, italienischen und genuesischen Sklaven zu verlangen. (Der Winkelhannes hatte sich ehedem auf einem genuesischen Kauffahrer verdingt und war bei einer Fahrt nach der Levante von Seeräubern gefangen und nach Algier verschleppt worden!) Am 18. August 1805 traf Jérôme vor Algier ein: der Dei von Algier übergab dem französischen Generalkonsul gegen Zahlung von

450 000 Franken (was man später verschwieg, um Jérômes Verdienste nicht herabzusetzen!) 231 Sklaven, unter denen sich also auch der Winkelhannes befunden haben muß. Bereits am

August 1805 war Jérôme wieder in Genua.

Im Jahre 1806 muß Winkelhannes bereits wieder in seiner Heimat gewesen sein, also nicht erst 1807, wie August von Haxthausen berichtet. Die Gemeinde Bellersen bewahrt ein Sterbebuch auf, in dem sich unter dem Datum vom 18. September 1806 der Eintrag befindet, daß »Johan. Winckelhahne«, 43 Jahre, ein »lediger Tunpf« und »Bettler«, der »erdrosselt« aufgefunden wurde, ein Begräbnis auf dem Kirchhof erhielt. Dabei handelt es sich offenbar um den im Bericht Haxthausens genannten »Hermann Johannes Winkelhannes«. Der Name »Winckelhahne«, wie er sich im Sterbebuch findet, entstand aus der zu Anfang des 18. Jahrhunderts gebrauchten

Namensform »Winkelhagen«. In den Haxthausenschen Gogerichtsakten ist die Kontraktion des Namenbestandteiles »-hagen« in »-han« nachvollziehbar. Hier findet sich: »winckelhag«, »Winckelhagen« (1745), »Winckelhage« (1748), »Winkelhagen« (1762), »Winkelhane« oder »Winkelhan« (1789/90). Die Häufigkeit des Vornamens Johannes in der Familie Winckelhahn oder Winckelhagen begünstigte schließlich die Entstehung der von August von Haxthausen gebrauchten Form »Winkelhannes«. Der im Sterbebuch unter dem 18.September 1806 eingetragene »Johan. Winckelhahne« hatte in der Taufe am 22. August 1764 die Vornamen Hermann Georg erhalten, sich aber wohl auch selbst Johannes genannt, worauf die Unterschrift des im Haxthausenschen Bericht zitierten Briefes aus Algier hinweist. Der erste Teil der »Judenbuche« mit der psychologisierend angelegten Kindheitsdarstellung Mergels in einer dörflichen Umgebung, in der »die Begriffe [. . .] von Recht und Unrecht« aus der Sicht der Droste »einigermaßen in Verwirrung« geraten sind, hat seinen Grund in den historischen Auseinandersetzungen der Dorfbewohner mit der grundherrlichen Autorität der von Haxthausen. Anton Keck konnte in seinem Aufsatz über »>Holzfrevel< in den um Bredenborn liegenden Waldungen im 18. Jahrhundert« die historisch gewachsene Rechtsunsicherheit bezüglich der Holzgerechtsame im Amt Bredenborn erhellen. Im Jahre 1401 hatte die Familie Haxthausen Stadt und Amt Bredenborn mit den dazugehörigen Wäldern erworben. In diesen Wäldern besaßen die Bredenborner das Recht des Les- und Fallholzsammelns. In der nachfolgenden Zeit dehnten sie diese Gerechtsame eigenmächtig auch auf die Privatwälder der von Haxthausen aus. 1533 kam es zum Vergleich. Für zwei Tage jährlichen Hand- und Spanndienstes erhielten die Bredenborner das Recht, in allen Wäldern Holz zu sammeln. Daran hielten sie auch fest, als die Haxthausens ihren Besitz vergrößern konnten. Die

Einsprüche der Familie Haxthausen wurden durch Gerichtsurteile von 1588, 1605, 1659/61, 1717 und 1764 abgelehnt. Gegen den Widerstand des Grundherrn machten die Bredenborner außerdem

ihr verbrieftes Recht auf Holzfällen (Eichen ausgenommen) im Masterholz und im Bollkasten geltend. Zugestanden wurde ihnen zunächst nur das Recht des Les- und Fallholzsammelns in den

genannten Wäldern. 1827 bestätigte das Oberlandesgericht Paderborn das Recht auf Holzschlagen (Eichen ausgenommen) im Masterholz und im Bollkasten. Die 1839 erfolgte Ablösung der Holz- und Hudegerechtsame im Rahmen des preußischen Ablösungsdekretes für Westfalen vom 13. 7. 1829 bzw. 18. 8. 1809 ließ wegen der Benachteiligung der unterbäuerlichen Schichten neue Streitigkeiten entstehen, erst 1848/50 kam es zu einer endgültigen Lösung. Einige historische Zeugnisse, die Schärfe und Ernst der Auseinandersetzungen deutlich werden lassen, sind unter den Gerichtsakten im Archiv der Familie von Haxthausen in Vörden zu finden. Am 17. Juli 1787 schrieb Werner Adolf von Haxthausen an die Verwaltung des Fürstbistums Paderborn:

Hochwürdig- Hochwohl- und Wohlgebohren


Sonders hochzuEhrende Herren! Es nimbt die Holzdieberey bey

nächtlicher Zeith in hiesiger Gegend, besonders an Eichen Holze in

meiner Waldung, so überhand, daß wo denselben nicht zeithig

vorgebäuget wird, zu befürchten daß die Waldungen nothwendig

ruiniert werden müssen, und wann welches doch Gott verhüte, eine

Feuers Brunst entstehen solte, gar kein Bau Holtz mehr vorzufinden,

sondern die Arme Liuthe, bey solchem unglücklichen Fall, das

Bauholtz in weith entlegener Waldungen anzukauffen und anzufahren


genöthigt werden, wodurch mancher abgeschreckt werden dörffte

lieber seine Hausstelle öde und wüste liegen zu lassen, als wieder zu

bebauen, Einen solchen Bösewicht habe in meiner Ortschaft zu

Böckendorff, seines Nahmens, Hans Heinrich Tengen, welcher vor

einigen Jahren ein Neues Hauß gebauet und sehr vieles Holtz darzu

gestohlen, weßwegen er dann, der angesetzten Brüchten halber nicht

nur, sondern auch wegen seiner faulheit, dergestalten zurück gekom-

men daß er die Schätzung sowenig mehr zu entrichten als noch

weniger vor vier Jahren die andictirte Gogerichtsbrüchten, wovon

Celsissimus die Halbheid participiert, zu bezahlen im Stande, welches

ihm so verwegen gemacht, daß er sich an Bestraffungen, weil ihm

nichts genommen werden kann, gar nicht mehr kehrt, sondern alles

darauf ankommen läßt. Dieser hatt noch, vor wenig Tagen, wie das

angelegte Protocoll, des mehren nachweiset, zwey der schönsten

jungen Eichen aus meiner Waldung entwendet und solche ins Corvey-

ische nach Huxar gebracht und daselbst verkaufft, und ob er wohl die

That verneint, hat doch mein Förster, auf Eyd und Pflichten attestirt

und weitheres nach den Waldenden und Stämmen befunden, daß es

nehmliche Eichen wären, so aus meiner Waldung gestohlen, ist auch

nicht vermögend und weigert sich dringendlichen Orth, wo er dann

solche erhalten, zu benennen, da nun bey solchen Fällen mein beeyde-


ter Förster vollkommenen Glauben hatt: so finde kein ander Mittel

als daß dieser Bösewicht und berüchtigter Holzdieb, zu seiner wohl-

verdienten Strafe und anderen zum Abscheu, zum Zuchthaus einge-

liefert werde, Ew. Hoch: würd: Hochwohl und Wohlgeb: muß also

gehorsambst ersuchen meine und übriger Herrn von Haxthausen

Gerichtsverwaltern den ernsthaften Auftrag zu thun, daß dieser den

Hanß Heinrich Tengen ohnverzüglich zum Zuchthause einliefern

müsse, wogegen mich gehorsambst empfehle und in außnehmender

Hochachtung beharre Ew. Hochwürd: Hochwohl: und Wohlgeb:

Böckendorff den 17ten Jan. 1787«

Auch die Kämpfe zwischen den Förstern und den »Holzfrevlern«, wie sie in der »Judenbuche« geschildert werden, gehören zu den historischen Grundlagen der Erzählung. Der folgende Drohbrief ist an einen Förster mit Namen Spiekermann gerichtet:

Ein Poßlein

Schuster bewahre deinen leist oder du deinen Esel Einen Förster als

verRether über seine Nachbahren du spieker Man du - du willst den

Herrn von Haxthausen sein Holz verwahren 1821

Du verRether Judaß Mich bewunder Noch daß unser GeMeine dich


Nicht zum Teufel jägt

Nun schlacht Mann deine alten Fenster ein ich hoffe und ferlange du

wirst kein Jahr Mehr gehen daß du kanst auf keinen beine stehen

deine Knogen solen dir Noch Gliet vor Gliet kurtz und klein

geschlagen Wen dein Neihe Fenster wieder hast So dann wirts auf

dir loß gehen daß man dier wirt Krönen Mit einem [vom Verfasser

Gerichtsverwaltern den ernsthaften Auftrag zu thun, daß dieser den

Hanß Heinrich Tengen ohnverzüglich zum Zuchthause einliefern

müsse, wogegen mich gehorsambst empfehle und in außnehmender

Hochachtung beharre Ew. Hochwürd: Hochwohl: und Wohlgeb:

freigelassener Raum für ein Wort] fer Kopfe Er liegt schohn zurrecht

bei Eilfersen den Solst du tragen die gantze Nacht den wirst du

wieder in Einen bock gebunden den solst du liegen wie ein

geschlachtet Kalb

du Spiekermann zur Großenbreden dich werden deine fenster

Eingeschlagen Weil du die Nacht allezeit Sogehst Verwahr dein Holz

beitage und bleib die Nacht im Hause

Friedrich Meyer

Die Quelle:

Unter dem Titel »Geschichte eines Algierer-Sklaven« veröffentlichte August von Haxthausen, ein Onkel der Droste, 1818 die seltsame Geschichte eines Judenmörders und Selbstmörders in der Göttinger Zeitschrift »Wünschelruthe«. Eine später vom Autor angefertigte Abschrift bietet vereinzelt Abweichungen von diesem Druck. August von Haxthausen stützte sich möglicherweise auf heute nicht mehr erhaltene Gerichtsakten. Er berichtet, daß die Juden den Baum, unter

dem das Verbrechen geschah, mit hebräischen Schriftzeichen kennzeichneten: der Mörder solle keines rechten Todes sterben. Die schicksalhafte Erfüllung dieses Satzes mag der Anlaß gewesen sein, die »Geschichte eines Algierer-Sklaven« aufzuzeichnen. Der Tradition eines aktenmäßigen Kriminalfall-Berichtes entspricht die Wahrheitsbezeugung zu Beginn der Geschichte. Gemäß dem Charakter der »Wünschelruthe« ist aber mit einer poetischen Gestaltung des Berichtes zu rechnen. Hinweis könnte auch die möglicherweise zahlensymbolische Verbindung von Mord und Sühne sein. Der Jude wird mit 17 Schlägen getötet und 17 Jahre verbringt sein Mörder im eigentlichen Elend.

Die im »Morgenblatt« verdruckte hebräische Schrift wurde korrigiert nach Richard Hauschild. Weiterhin wurde die Jahreszahl am Ende der Erzählung in 1789 korrigiert. Im Erstdruck findet sich an dieser Stelle die Jahreszahl 1788. Da Mergel jedoch am Vorabend des Weihnachtsfestes 1788 zurückkehrt, kann er sich nicht im Herbst 1788 erhängen. Neuere

Ausgaben korrigieren deshalb meist in 1789. Daneben ist der Vorschlag gemacht worden, das Jahr der Heimkehr Mergels in 1787 zu ändern. Es kann jedoch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß auch in der dem Erstdruck zugrundeliegenden Reinschrift der

Droste an beiden Stellen 1788 stand. Im Entwurf war das Verbrechen nicht nur durch den Ort und den gezeichneten Baum mit seiner Sühne verbunden, sondern überdies auch durch die Zeit. Während im Erstdruck die Jahreszeit beider Ereignisse nicht mehr völlig übereinstimmt, sind in dem älteren Entwurf Judenmord und Selbstmord auf den 28. Oktober datiert. Die Einführung einer solchen Schicksalszeit (dies fatalis) in die Schicksalstragödie hat man früher Tieck zugeschrieben. In seinem Drama »Karl von Berneck« fällt Walther von Berneck an dem Tage im Zweikampf, an dem die Burg gegründet wurde und an dem das Gespenst des Gründers umgeht. Es ist der 24. Juni, der Johannistag, an dem sich nach dem Volksglauben von jeher allerhand Unerklärliches ereignet. Auch der 28. Oktober besitzt im Volksglauben eine ähnliche Bedeutung. Er ist der Tag der hll. Simon und Judas (Thaddäus) und gilt im allgemeinen als Unglückstag, vgl. auch Schillers »Wilhelm Tell« I,1: . »s' ist heut Simons und Judä, / Da rast der See und will sein Opfer haben.« Möglicherweise kommt der Zahl 28 in der »Judenbuche« nicht nur als Datum in einer Vorfassung eine besondere Bedeutung zu, denn im Erstdruck wird der Zeitraum von 28 Jahren an drei Stellen ausdrücklich genannt. Unmittelbar vor der Rückkehr Mergels am 24.12.1788 heißt es: Eine schöne, lange Zeit war verflossen, achtundzwanzig Jahre, fast die Hälfte eines Menschenlebens (49,1 f.), den gealterten Gutsherrn charakterisiert die Dichterin mit den Worten: noch immer mit den hellen Augen und dem roten Käppchen auf dem Kopfe wie vor achtundzwanzig Jahren. (52,27-29), und schließlich kommentiert sie die Suche nach dem erneut verschwundenen Friedrich Mergel mit den Worten: ihn lebend wiederzusehen, dazu war wenig Hoffnung, und jedenfalls nach achtundzwanzig Jahren gewiß nicht (58,5-7). Nicht nur die Heraushebung eines Jahrestages als Schicksalszeit, zu der alle wichtigen Ereignisse geschehen, sondern auch die Betonung eines schicksalhaften Zeitraumes, in dem sich die Handlung abspielt, ist aus den romantischen und nachromantischen Schicksalsdichtungen bekannt. In der Tragödie »Der vierundzwanzigste Februar« (1815) von Zacharias Werner, einem Werk, das die Droste nachweislich gut gekannt hat, sind die verhängnisvollen Taten in einem zeitlichen Rahmen von 28 Jahren eingegrenzt. Kuntz, die Hauptperson der Tragödie, verübte vor 28 Jahren am 24. Februar um Mitternacht einen Mordanschlag auf seinen Vater. Nach sieben Jahren (am 24. Februar) ermordete der siebenjährige Sohn Kurt seine zweijährige Schwester. Kurt stirbt durch die Hand seines Vaters nach 28 Jahren, selbstverständlich am 24. Februar um Mitternacht: »Einst - heut sind es akkurat / Achtundzwanzig volle Jahr, / Seit die fluchbeladne Tat / Sich begab - Glock zwölf es war«. Es ist möglich, daß auch die Droste für Mord und Selbstmord unter der Judenbuche einen bestimmten zeitlichen Rahmen schaffen wollte und daß sie darum gegen Ende ihrer Erzählung den Zeitraum von 28 Jahren besonders hervorhebt. So ließe sich auch die aus der Chronologie der Ereignisse herausfallende Jahreszahl 1788 am Schluß des Erstdruckes erklären. Friedrich Mergel war am 24. Dezember des Jahres 1788, 28 Jahre nach dem Judenmord im Oktober 1760, heimgekehrt. Im Widerspruch zu diesem vorausgehenden Datum gibt der Erstdruck für den Selbstmord die Zeit des Septembers 1788 an. Folgt man aber der letzten Zeitangabe, so sind Verbrechen und Sühne durch 28 Jahre

voneinander getrennt, was nach der ausdrücklichen mehrfachen Erwähnung dieses Zeitraumes geradezu als beabsichtigt erscheinen muß.

Der Erstdruck des einzigen vollendeten Prosawerks der Droste erschien in sechzehn Fortsetzungen vom 22. April bis zum 10. Mai 1842 in Cottas angesehenem und weitverbreitetem Morgenblatt für gebildete Leser. Obwohl sich keine Manuskriptreinschrift erhalten hat, muß dieser Druck als autorisiert gelten, zumal er nach einem brieflichen Zeugnis der Dichterin - bis auf geringfügige Anderungen durch Levin Schücking (der die Drucklegung ohne Wissen der Droste veranlaßt hatte) und den Redakteur Hermann Hauff (auf dessen Vorschlag der Titel zurückgeht) - »Wort für Wort« korrekt ist. Noch in demselben Jahr erfolgte ein Nachdruck in der Zeitschrift Westfälischer Anzeiger (1. Juni bis 13. Juli 1842), ehe Schücking 1859, also elf Jahre nach dem Tod der Dichterin, den Text erstmals zusammenhängend veröffentlichte. Paul Heyse und Hermann Kurz nahmen das Werk 1876 in ihre kanonbildende Sammlung Deutscher Novellenschatz auf; erst damit setzt die bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte ein, die durch ein ständig zunehmendes Interesse des Lesepublikums und eine sich bis in die Gegenwart fortsetzende, in Art und Umfang einigermaßen singuläre wissenschaftliche Diskussion gekennzeichnet ist. Bisher erschien die bislang in acht Sprachen übersetzte Judenbuche in etwa 160 verschiedenen Ausgaben,

worunter die seit 1884 im Programm der Reclamschen UniversalBibliothek vertretene Edition hinsichtlich der Verbreitung (vor allem in den Schulen) einen besonderen Rang einnimmt. Die Forschung hat es inzwischen auf mehr als 130 Beiträge gebracht. Angesichts dieser Zahlen kommt den die Vielfalt und Divergenz der Meinungen referierenden und kritisch diskutierenden Kommentaren besondere Bedeutung zu: Daß solcherart Besinnung auf Facta und Realia und zudem für sich sprechende Warnung vor alexandrinischer Überbordung eines Themas die Lust an immer neuen Deutungsversuchen und Einzeluntersuchungen indes nicht im geringsten mindern konnten, erweist exemplarisch das Sonderheft der Zeitschrift für deutsche Philologie (Bd. 99, November 1979), das ausschließlich der Judenbuche gewidmet ist und auf 168 Seiten zwölf neue Beiträge bietet.

Gewiß provoziert die Judenbuche nicht nur ein ungewöhnliches stoffliches Interesse durch den historisch verbürgten Kriminalfall, das westfälische Dorfmilieu und das mannigfach gebrochene Zeitkolorit, sondern vor allem auch disparate Deutungen, und zwar durch die scheinbare oder wirklich gegebene Dunkelheit oder Mehrdeutigkeit, in der die entscheidenden Vorgänge >hinter der Szene< ablaufen, sowie die ebenso ungewöhnliche wie die Erzähltraditionen ihrer Entstehungszeit anscheinend weit überflügelnde Modernität dieser Erzählhaltung überhaupt. Dennoch liegt es nicht nur an der Dichterin, daß sich nach einem Wort Turgenjews der um Erkenntnis bemühte Leser »so hin und her gezerrt« fühlt. Vielmehr sind es die inzwischen fast unübersehbar gewordenen, nur noch schwerlich korrelierbaren, meist sehr selbstsicher anmutenden Interpretationsansätze, die zu einer Verwirrung über das Werk beitragen, zumal sich die Interpreten in der Regel nur selten auf mehr als eine vorgängige Deutung beziehen. Einige Grundlinien der wissenschaftlichen Rezeption sollen im folgenden kurz skizziert werden. Aus dem 19. Jahrhundert verdienen vornehmlich die Urteile der Schriftsteller Beachtung. Die Droste selbst erhielt außer einer recht begeisterten Zustimmung aus dem Bekanntenkreis nur Kenntnis eines allgemeinen Lobes durch Karl Simrock und Adele Schopenhauer, die indes bemängelte, daß »die Hauptmomente [. . .] nicht scharf genug« vorträten. 1869 rühmte Iwan Turgenjew »Kraft« und »grelle Anschaulichkeit«: »Nur wird die Handlung bald so hin und her gezerrt, daß man am Ende nicht recht klug aus der ganzen Geschichte wird.« Ein Jahr später betrieb Paul Heyse zwar vehement gegen verschiedene Widerstände die Aufnahme der Judenbuche in seinen Novellenschatz, schränkte aber im Blick auf die »Dunkelheit ihres Stils« ein, sie sei »nicht so ohne Fragezeichen genießbar«, während Theodor Storm gleichzeitig nicht weniger als dreimal auf den Abdruck drängte. Theodor Fontane urteilte 1890 brieflich:


Natürlich ist alles stimmungsreich und wirkungsvoll, solch Inhalt

muß wirken, aber das Maaß der Kunst oder gar der Technik ist

nicht hervorragend. Eigentlich enthält die Judenbuche zwei

Geschichten [. . .]; die Geschichte mit dem Onkel hätte, nach

meinem Gefühl, verdient zur Hauptsache gemacht zu werden und die

Judengeschichte wäre dann ganz fortgefallen, wollte Annette aber

lieber diese bringen, was auch vieles für sich hat, so mußte das

Voraufgehende mit dem Onkel nur ganz kurze Etappe sein, nicht

aber Concurrenzstück.

In fast all diesen Resümees mischen sich also Aufmerksamkeit oder Begeisterung mit Tadel, der sich an der mangelnden Klarheit der Darstellung, des Aufbaus oder der Proportionen entzündet und so ex negativo ein Bild des zeitgenössischen Erwartungshorizonts en miniature zeichnet, den die Droste zweifellos verwirrt - oder besser: aufgesprengt - hat. Das erkannte als erster Paul Ernst, der 1904 ein ausführliches und hervorragend interpretierendes »Schlußwort« zur

Judenbuche verfaßte:

Wir haben also in Annettes Werk das Ergebnis einer unbeab-

sichtigten Tätigkeit der künstlerischen Vorstellungskraft vor uns,

welche das wirkliche Geschehnis in der Erinnerung verblassen

läßt und ein neues erfindet, teils aus dem sittlichen Bewußtsein der

Dichterin heraus, teils mit Abrundung, Begründung, Ausgestaltung

und Vertiefung zu künstlerischen Endzielen [. . .] wie ohne ihren

bewußten Willen, durch die ungewollte Tätigkeit der Vorstellungs-

kraft, im Lauf der Jahre in ihr sich ein noch ganz roher Stoff in einen

Novellenstoff verwandelte [. . .]. Dazu bedenke man noch, daß [. . .]

ihr bewußtes künstlerisches Wollen ganz gering war, und daß man

sie deshalb [. . .] als Dilettantin bezeichnen muß. So haben wir also

hier ein ganz merkwürdiges Beispiel für das Eigenleben der

künstlerischen Form.

Die eigentlich germanistische Forschung sollte noch Jahrzehnte brauchen, bis sie die Qualität dieser Darstellung erreichen oder gar übertreffen konnte. Die frühen, zunächst fast ausschließlich quellenkritisch und kommentierend ausgerichteten Arbeiten sind heute sämtlich überholt: Die Eruierung der schriftlichen Quelle und relevanter Realia sowie die textkritische Edition aller Vorstufen und Lesarten sind erst - dann jedoch auch so gut wie abschließend - durch die Bücher Heinz Röllekes (1970) und Walter Huges (1977) geleistet, und seither werden diese Grundlagen fast durchweg in den Interpretationen hinreichend berücksichtigt. Das hatten die in Einzelheiten vorarbeitenden Werke von Felix Heitmann (1914) und Karl Schulte Kemminghausen (1925) leider nicht bewirkt, so daß bis zum Beginn der siebziger Jahre die darauf (oft aber eben nicht einmal darauf!) basierenden Untersuchungen in vielen grundlegenden Einzelheiten in die Irre gingen. Als insgesamt relevant können aus diesem Zeitraum wohl nur noch genannt werden Friedrich Gundolfs innovierende Hinweise u. a. auf die Verwandtschaft der Judenbuche mit den Schicksalsdramen (1931), Emil Staigers einfühlsame Sinndeutung mythisch-alttestamentarischer Strukturen vor dem Hintergrund des Drosteschen Gesamtwerks und einer weithin überzeugenden Anthropologie der Spätromantik (1933), die ersten einläßlichen Einzelinterpretationen von Benno von Wiese und Walter Silz wegen ihrer gattungsspezifischen, letztlich aber immer noch nicht befriedigend beantworteten Fragestellungen (1954), Heinz Röllekes erstmals konsequent auf die theologische Dimension der Judenbuche abhebender Beitrag (1968), zu dessen Ansatz fast alle folgenden Aufsätze kritisch-skeptisch oder affirmativ Stellung nehmen, sowie ganz besonders die ein Jahr zuvor erschienene Studie Heinrich Henels, der den »Sinn der Novelle eben in ihrer Dunkelheit« sieht und die so ungewöhnlichen Divergenzen der Interpretationen im Detail wie im Grundsätzlichen als unvermeidlich, weil letztlich von der Droste intendiert auffaßt. In der Folge haben viele Autoren diese These weiter abzusichern und zu konkretisieren versucht - am weitesten geht dabei augenscheinlich Maruta Lietina-Ray, die, auf den Henelschen Ansatz gestützt, in einer Art Kreisbewegung sogar zu ganz frühen Positionen der Forschung zurückkehrt und eher in Johannes als in Friedrich den Judenmörder zu sehen geneigt ist. Dies ist nur ein Beispiel für die gerade durch Henel eröffnete Spannweite und die dadurch gewonnenen neuen Möglichkeiten der augenblicklichen Diskussion, die sich nicht nur weiterhin vertieft um die Bedeutung der Geschehnisse bemüht, sondern sich auch verhement wieder an der Frage nach deren Ein- oder Mehrdeutigkeit selbst entzündet. Dabei ist besonders bemerkenswert, daß der erst in jüngerer Zeit ins Spiel gebrachte Versuch, mit Hilfe der handschriftlichen Vorfassungen und Varianten den Gang der Handlung und entsprechende Intentionen sicherer erkennbar zu machen, faktisch in Einzelheiten und methodisch insgesamt schon wieder in Frage gestellt wird. Solch ständig neues Öffnen der Diskussion ist ein Zeichen für die Lebendigkeit und die wissenschaftliche Aktualität der Judenbuche wie eben auch ein besonderes Verdienst der Einsichten und Thesen Henels. Im übrigen vertreten fast alle jüngeren Interpretationen sehr verschiedenartige Ansichten, weil ihr Erkenntnisinteresse nur selten einen übereinstimmenden Ansatz zeigt. Die folgende Kurzcharakterisierung muß daher mit einigen Vereinfachungen arbeiten; sie stellt eine Auswahl aus dem neuesten Schrifttum seit der forschungsgeschichtlichen Zäsur von 1970 vor und kann nur einer ersten Orientierung dienen.

Benno von Wiese konzentriert seine gegenüber 1954 genauer verfahrende Interpretation auf die Entwicklung Friedrichs zum Mörder, kann dabei aber einen Widerspruch nicht ganz vermeiden, wenn er die Position Gundolfs oder Röllekes (»Erzähltes Mysterium«) zwar grundsätzlich anzweifelt, am Ende aber doch ausdrücklich das »Geheimnis« und »das Mysterium des Bösen« als konstitutiv herausstellt.

Radikal, wenn auch stillschweigend, ist Clemens Heselhaus von seinem früheren, Hermann Pongs verpflichteten Ansatz einer seins-tragischen Deutung (1943) zugunsten der Betonung des Halluzinativen (1971) abgerückt, während er neuerlich Sprache und Rolle der Frau thematisiert. Unter den zahlreichen soziologisch oder sozialpsychologisch verfahrenden Beiträgen sind vor allem hervorzuheben: Winfried Freunds Überlegungen zum »Außenseiter« Mergel und Ronald Schneiders methodisch überzeugend zwischen »bewußte[r] Gestaltungsabsicht und unbewußte[r] Problemartikulation« unterscheidende Darstellung einer Suche nach individueller und sozialer Identität. Zuvor war Schneider (1976) erstmalig und mit gut abgesicherten Ergebnissen der längst überfälligen, aber bis dahin nur gestellten Frage nachgegangen, die sich aus der ursprünglich geplanten Einbindung der Judenbuche in die Westfalen-Schrift der Droste ergibt. Er entwickelte

dabei stringent eine Art Raum- und Zeitkoordinatensystem, dessen Daten und Bedeutungen er aus den Charakterisierungen u. a. des Münsterländers (»Religiösität«, »Rechtlichkeit«, glücklicher »Entwicklungsrückstand«) und eben des in der Judenbuche gezeichneten Paderborners (vorchristlich, böse, revolutionär, ja sogar raubtierhaft, teuflisch) gewinnt; die zeitliche Komponente ist dabei kompliziert zu handhaben, da von ganz verschiedenen Datierungen auszugehen ist: Der tatsächliche Kulminationspunkt (Judenmord) wurde durch die Droste von 1783 auf 1760 zurückdatiert, wobei zudem natürlich die bewußt und vor allem auch unbewußt eingebrachten Sehweisen der Entstehungszeit der Judenbuche (um 1840) berücksichtigt werden müssen. Ahnliches gilt für die Beurteilung der Klasseninteressen, die sich aus historischen und seinerzeit aktuellen Aspekten, aus der Zugehörigkeit der Dichterin zum herrschenden Adel und ihrem erkennbaren Bemühen um Objektivität mischen. Die >sozialkritische< Studie von Rudolf Kreis verfährt in dieser Hinsicht gewiß zu einseitig, während Helmut Koopmann inmitten dieser sich vielfältig und verwirrend mischenden Akzentuierungen einen festen Standpunkt gewinnt, indem er sich vorbildlich textnah und erstaunlich ergebnisreich an die Eingangspassage über das »äußere Recht« und das »innere Rechtsgefühl« hält (4). Als Friedrich zur Beichte will, ist sein inneres Rechtsgefühl noch unangetastet; als er die Beichte unterläßt, beginnt er unaufhaltsam die »innere Schande der äußern vorzuziehen« (36). Dabei entgehe er zwar dem mangelhaften »äußeren Recht«, doch im Selbstmord erweise er letztlich selbst die Mächtigkeit des »inneren Rechtsgefühl[s]«. Zweifel darf man aber wohl anmelden, wenn Koopmann - seinem Ansatz konsequent getreu - ausgerechnet den Selbstmord mit all seinen in den Augen der Droste doch gewiß fürchterlichen Fragwürdigkeiten und höchst gewichtigen Folgen als jedermann befriedigenden Triumph des Gewissens und der innersten, moralischsten Rechtsinstanz auffaßt. Ein ähnlich hohes Maß an Stringenz erreichen neben Schneider und Koopmann unter den neueren Interpreten vor allem Bernd Kortländer und Walter Huge, die das gewichtige Boileau-Zitat der Droste »Levrai n'est pas toujours vraisemblable« (48) besonders beachten. Jener präzisiert anhand dreier überzeugend gewählter Einzelbeispiele den Ansatz Henels, indem er ihn zugleich einschränkt, und resümiert, »daß bestimmte zwischen Vorstufen und Druck [der Judenbuche] liegende Schreibvorgänge Teil einer Strategie sind, die das Ziel verfolgt, eine Vielzahl häufig gleichwertiger Deutungsmöglichkeiten zu eröffnen«; dieser geht vom Rätsel des Verbrechens aus, das jede Kriminalgeschichte bietet und das die Droste durch die Konstruktion der »unwahrscheinliche[n] Wahrheit« aufbaut. Die gattungsspezifisch ausgerichteten Untersuchungen konzentrieren sich überhaupt neuerlich nicht mehr auf die Judenbuche als Novelle, sondern als »Kriminalgeschichte«, wozu nach dem Vorgang Winfried Freunds (1969) neben Huge besonders Winfried Woeslers besonnene und die gegenwärtigen Rezeptionsmöglichkeiten unter diesem Aspekt überzeugend herausarbeitende Deutung beiträgt.

Verwendete Literatur:

A. von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. -Stuttgart: Reclam 1977 (RUB 1858)

A: von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. -Stuttgart: Reclam 1996 (Reclam, Klassiker auf

CD-ROM 6)

So viel darf man indessen behaupten, daß die Form schwächer,

der Kern fester, Vergehen häufiger, Gewissenlosigkeit seltener waren.

Denn wer nach seiner Überzeugung handelt, und sei sie noch so mangelhaft,

kann nie ganz zugrunde gehen, wogegen nichts seelentötender wirkt,

als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch zu nehmen.



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